Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
Freund Fürst Soth. Vor langer Zeit gefielen ihm Elfenfrauen, wenn ich mich richtig erinnere.«
»Das stimmt«, murmelte Kitiara. Ihre Augen verengten sich. Sie hob ihre Hand. »Hör mal«, sagte sie leise.
Ariakus horchte. Zuerst hörte er nichts, dann nahm er allmählich einen seltsamen Klang wahr – ein durchdringendes Wimmern, als ob Hunderte Frauen ihre Toten betrauern würden. Während des Zuhörens wurde es immer lauter und durchbohrte die Stille der Nacht.
Der Drachenfürst setzte sein Weinglas ab, über seine zitternde Hand erschrocken. Er sah zu Kitiara; sie war blaß geworden. Ihre großen Augen weiteten sich. Als Kitiara seinen Blick bemerkte, schluckte sie und befeuchtete ihre trockenen Lippen.
»Furchtbar, nicht wahr?« fragte sie mit heiserer Stimme.
»Ich habe entsetzliche Sachen in den Türmen der Erzmagier
erlebt«, sagte Ariakus, »aber das war nichts im Vergleich zu dem hier. Was ist das?«
»Komm«, sagte Kitiara, während sie aufstand. »Wenn du den Mut hast, zeige ich es dir.«
Sie verließen das Kriegszimmer, und Kitiara führte Ariakus durch die kurvenreichen Korridore des Schlosses, bis sie wieder in Kits Schlafzimmer über der kreisförmigen Eingangshalle mit der kuppelförmigen Decke anlangten.
»Bleib im Schatten«, warnte Kitiara.
Eine unnötige Warnung, dachte Ariakus, während sie leise nach draußen auf einen Balkon schlichen, von dem aus man die kreisförmige Halle überblicken konnte. Als er über den Rand des Balkons spähte, wurde Ariakus von blankem Entsetzen überwältigt. Schweißnaß zog er sich schnell in Kitiaras Schlafzimmer zurück.
»Wie kannst du das aushalten?« fragte er sie, als sie eingetreten war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Geht das jede Nacht so?«
»Ja«, antwortete sie zitternd. Sie holte tief Luft und schloß ihre Augen. Innerhalb von Sekunden hatte sie sich wieder unter Kontrolle. »Manchmal glaube ich, daß ich mich daran gewöhnt habe, dann mache ich den Fehler hinunterzusehen. Das Lied ist nicht so schlimm . . .«
»Fürst Soth sitzt also jede Nacht da unten auf seinem Thron, umgeben von seinen Skelettkriegern, und die dunklen Hexen singen dieses entsetzliche Schlaflied«, brummte Ariakus.
»Und es ist immer dasselbe Lied«, murmelte Kitiara. Zitternd hob sie geistesabwesend die leere Weinkaraffe hoch und setzte sie wieder ab. »Obwohl die Vergangenheit ihn gequält hat, kann er ihr nicht entkommen. Immer grübelt er, fragt sich, was er hätte tun können, um diesem Schicksal zu entgehen, das ihn verdammt, ohne Ruhe für alle Ewigkeit durch das Land zu ziehen. Die dunklen Elfenfrauen, die eine Rolle bei seinem Niedergang spielten, sind gezwungen, seine Geschichte mit ihm immer wieder durchzumachen. Jede Nacht müssen sie es wiederholen. Jede Nacht muß er sich das anhören.«
»Was bedeuten die Worte?«
»Ich kenne sie inzwischen genauso gut wie er.« Kitiara lachte, dann zuckte sie die Achseln. »Laß noch Wein kommen, und ich erzähle dir die Geschichte, wenn du Zeit hast.«
»Ich habe Zeit«, sagte Ariakus und lehnte sich im Stuhl zurück. »Obwohl ich morgen früh aufbrechen muß, wenn ich die Zitadellen schicken soll.«
Kitiara lächelte ihn an, das bezaubernde, verworfene Lächeln, das so viele anziehend fanden.
»Ich danke dir, mein Fürst«, sagte sie. »Ich werde dich nicht noch einmal enttäuschen.«
»Nein«, sagte Ariakus kühl und läutete mit einer kleinen silbernen Glocke. »Das kann ich dir versprechen, Kitiara. Wenn das noch einmal der Fall sein sollte, dann wirst du sein Schicksal«, er zeigte nach unten, wo das Wimmern seinen schaurigen Höhepunkt erreichte, »im Vergleich zu deinem als angenehm empfinden.«
W ie du weißt«, begann Kitiara, »war Fürst Soth ein wahrer und ehrenwerter Ritter von Solamnia. Aber er war ein höchst leidenschaftlicher Mann, dem es an Selbstdisziplin fehlte, und das wurde ihm zum Verhängnis.
Soth verliebte sich in ein wunderschönes Elfenmädchen, eine Jüngerin von Istars Königspriester. Zu dieser Zeit war er verheiratet, aber die Gedanken an seine Frau schwanden beim Anblick des schönen Elfenmädchens. Er setzte sich über sein heiliges Heiratsgelöbnis und seine Ritterschwüre hinweg und gab seiner Leidenschaft nach. Er log das Mädchen an, verführte
es, überredete es, auf Burg Dargaard zu leben, und versprach ihr die Ehe. Seine Frau verschwand unter unheilvollen Umständen.«
Kitiara zuckte die Achseln und fuhr fort.
»Wie ich aus dem Lied verstanden habe,
Weitere Kostenlose Bücher