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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Keller
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meist vorgewölbt, die Nase klein und die Augen standen nahe beieinander. Auch die älteren Dorfbewohner, die diese Merkmale trugen, sahen mit ihren offenen Mündern und dem leicht schielenden Blick aus wie kleine Kinder. Erich sah sogar ein Albino-Mädchen vorbeilaufen. Er hatte von diesen Menschen mit weißen Haaren und roten Augen gehört, aber war bis jetzt nicht sicher gewesen, ob es sie überhaupt gab, oder ob es sich um Märchengestalten handelte wie Drachen oder Einhörner. Anderen Hürnin in diesem versteckten Dorf fehlten Finger oder der ganze Arm oder ihre Haut wies seltsame Flecken auf.
    Diese Häufung an Missbildungen mochte an der Methode liegen, wie die Waldbewohner ihre Kinder zum Blutritual brachten, aber weder Sarn noch einer der anderen wollte danach fragen und ihre Gastgeber damit vor den Kopf stoßen. Außerdem waren sie viel zu eingenommen von dem, was es hier zu sehen gab. Diese Waldbewohner waren Hürnin, aber sie lebten wie Wilde. Noch primitiver als die Barbaren, die ständig auf Wanderschaft waren. Dazu gehörte auch, dass die Waldbewohner keine Scheu davor hatten, ihren nackten Körper zu zeigen und offensichtlich war es keineswegs verpönt, wenn Männer ihre Zuneigung zueinander vor aller Augen durch einen Kuss deutlich machten. Erich hatte davon gehört, dass manche Männer die Nähe ihres eigenen Geschlechts bevorzugten, aber er hatte es noch nie mit eigenen Augen gesehen.
    Erich und die anderen wurden aber fürs erste viel zu sehr von den neugierigen Kindern in Beschlag genommen, als dass sie mehr als einige flüchtige Eindrücke erhaschen oder irgendwelche Fragen stellen konnten. Das ganze Dorf schien auf den Beinen zu sein, um einen Blick auf sie zu werfen. Erich gestand mir, dass er sich in seinen verschwitzen Kleidern ziemlich schäbig vorkam und abgesehen von Sirr machten die Hürnin wirklich keine besonders gute Figur. Borken scheuchte die Kinder nach einiger Zeit weg und führte uns dann über einen unauffälligen Steg nach oben in den Wipfel eines Baums, wo bereits einige ergraute Männer auf uns warteten, die ein dunkles Gebräu tranken, das ein Aufguss irgendwelcher Blätter zu sein schien. Sie rauchten dabei genüsslich Pfeife.
    Ihr Gepäck ließen Sarn und die anderen nach kurzem Zögern zwischen den Wurzeln des Baumes zurück. Nur Sirr nahm ihre Tasche mit auf den Baum. Von oben konnten wir das Dorf besser überblicken und sahen, dass es um eine kleine Quelle herum errichtet worden war, die hier zwischen Felsen aus dem Boden brach. An manchen Stellen konnten wir Felder ausmachen, auch wenn ich nicht erkennen konnte, was hier angebaut wurde. Ansonsten schienen sich die Waldbewohner von dem zu ernähren, was sie im Wald jagen oder im nahen See fischen konnten. Erich entdeckte mehrere Gestelle zwischen den Bäumen, auf denen Fische zum Trocknen hingen. Es war unmöglich zu sagen, ob wir das Dorf an einem ganz normalen Tag erlebten, oder ob man versuchte einen guten Eindruck auf uns zu machen. Sarn hatte in Hornhus irgendwann die Geschichte eines Generals erzählt, der seine Männer als Frauen verkleidete, die so eine gegnerische Einheit in ein Dorf locken und aus dem Hinterhalt niedermachen konnten, aber hier war alles friedlich. Nichts deutete auf feindselige Absichten hin. Insgesamt mochten vielleicht etwas mehr als hundert Hürnin hier leben, aber es konnten auch viel mehr sein. Dafür dass man hier nichts mehr von Hornhus wissen wollte, wurden wir überraschend freundlich behandelt und das machte mich misstrauisch.
    Die rauchenden Männer begrüßten uns Neuankömmlinge mit einer Umarmung, gegen die Sirr und der Halken sich so gut es ging aber letztendlich erfolglos sträubten und baten die Hürnin dann Platz zu nehmen. In bauchigen Schalen wurde herber, die Zunge betäubender Blätteraufguss herumgereicht, der mit Milch vermischt wurde um ihn bekömmlicher zu machen, aber die Pfeifen schienen ein Privileg der Alten zu sein, denn diese gaben sie nicht aus der Hand. Erich hätte sich sowieso davor geekelt an dem feuchten Mundstück zu saugen und den stinkenden Qualm einzuatmen.
    „Diese sind mein Vater Laubschatten und die Ältesten des Dorfes.“, sagte Borken und stellte sie reihum vor. „Diese haben euch erwartet, seit ihr unseren Wald betreten habt.“
    „ Ihr habt euch eine schlechte Zeit ausgesucht, um jenes Sommerfeld zu überqueren, Hornhuser.“, sagte einer der Ältesten, nachdem sie belanglose Komplimente über den Tee und die Ausrüstung der Gruppe

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