Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
zurück. Wie hatte er gemerkt, dass ich mich genähert hatte und ihn durch den Stoff seines Umhangs hindurch betrachtete?
„ Entschuldigt, Herr, aber diese Narbe ist irgendwie anders als der Rest eures Körpers. Sie beunruhigt mich. “
Ich fürchtete, dass er mich für diese banale Aussage auslachen würde, aber er nickte nur und nachdem er sich vergewissert hatte, dass Sarn ihn nicht hören konnte, wisperte er: „Ich weiß. Die Schwestern konnten den Dämon nicht ganz entfernen. Ein Stück von ihm ist immer noch in mir. Ich kann fühlen … wie er sich bewegt.“
Ich war erstaunt darüber, dass Erich das so gelassen und vor allem so bestimmt sagen konnte. Bevor ich weiter nachfragen konnte fügte er hinzu: „Ich kann die Verbindung zum Baum spüren. Ich kann dir genau sagen, wo er wächst, wie weit er entfernt ist und dass er ziemlich wütend ist. Ich bekomme Gänsehaut davon. Er hasst mich. Er hasst alle, die in dieser Welt leben.“
„ Und der Scharif? Kann er euch auch … ? “
„ Nein, ich glaube nicht. Ich glaube es ist noch nie vorgekommen, dass dem Baum auf diese Weise ein Opfer vorenthalten wurde. Er hat es noch nie erlebt, dass eine Verbindung begonnen aber nicht zu Ende gebracht wurde. Ich glaube er weiß nicht, wie er damit umgehen soll. Ich spüre, dass eine Veränderung in ihm vor sich geht. Etwas wächst heran. Eine Gefahr für uns.“
Um ehrlich zu sein: Ich wusste nicht was ich davon halten sollte. Seit wir Hornhus betreten hatten und niemand sagen konnte, wer Erichs Eltern waren, war ich zunehmend mit der ganzen Sache überfordert. Ich wusste nicht, wie ich mir eine Verbindung mit einem Hürnin vorgestellt hatte, aber ich hatte sicher nicht damit gerechnet, dass wir aus Hornhus verbannt, kurz darauf einen verschollenen Stamm von Hürnin finden und zum krönenden Abschluss auf rätselhafte Heilerinnen und Dämonen in Baumgestalt stoßen würden.
Vielleicht war es nur natürlich, dass man seine falschen Vorstellungen von der Welt aufgeben und neue Regeln lernen musste, wenn man vom Kind zum Erwachsenen werden wollte. Wahrscheinlich wurde es Zeit, dass ich herausfand, wie man weniger naiv war. Aber wie brachte man das fertig ohne die bittere Galle der Enttäuschungen schlucken zu müssen?
„ Woher kommt dieser Dämon? Ich meine dieser Scharif?“, wollte Erich wissen und zwar so laut, dass auch Sarn es hören konnte. „Ich dachte die Dämonen kämen nur durch den Pakt in unsere Welt.“
Sarn wischte sich den Schweiß vom Gesicht und man konnte förmlich sehen, wie der Tagtraum von einem üppigen Mahl mit reichlich zu trinken in seinen Augen verblasste.
„Nein. Der Pakt ist nur eine von vielen Möglichkeiten eine Tür zwischen den Welten zu öffnen. Es gab schon immer Dämonen, die den Weg zu uns und vielleicht in andere Welten, von denen wir nichts wissen, gefunden haben. Schon lange bevor Sigwar den Pakt geschlossen hat, gab es Dämonenjäger, die jeden Dämon dorthin zurückgeschickt haben, wo er hergekommen ist.“
„ So wie die Flamme.“, sagte Erich.
„ So wie die Flamme. So wie es hier die unterschiedlichsten Völker gibt, ist auch das Dämonenreich in unzählige Domänen aufgeteilt, die sich untereinander bekämpfen. Darum ging es ja im Pakt: Beide Seiten konnten davon profitieren und das war meines Wissens zuvor noch nicht da gewesen. Dämonen haben aus gutem Grund einen schlechten Leumund. Es war undenkbar, dass ein Dämon jemals mit einem Bewohner dieser Welt zusammenarbeiten könnte. Jeder Dämon, der den Übergang in unsere Welt geschafft hatte, führte sich so auf wie der Scharif.“
„ Die Hürnin haben diese Welt von allen anderen Dämonen befreit. “, sagte ich so, dass auch Sarn es verstehen konnte.
„ Das war vielleicht nicht unser Ziel, aber du hast wahrscheinlich Recht. Vielleicht hätte sich uns weniger Widerstand entgegengestellt, wenn wir mit dieser Losung auf unseren Bannern losgezogen wären.“
„ Und ist schon mal jemand aus dieser Welt in die Welt der Dämonen gegangen?“
Sarn sah ratlos drein.
„Bevor die Schwestern mir gesagt haben, dass du vielleicht aus der Dämonenwelt in unsere gebracht worden bist, hätte ich nur über diese Frage gelacht. Die Welten sind so verschieden wie das Wasser und das Land. Es gibt Fische, die mit Mühe einige Zeit im Trockenen überleben können, wenn ihre Tümpel im Sommer austrocknen, aber keinem Landtier ist es möglich für längere Zeit unter Wasser zu bleiben oder gar dort zu leben. Aber vielleicht
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