Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
haben.“
Der Halken nickte. „Er hat auf den Gezeichneten gewartet.“, sagte er bestätigend.
„Den Gezeichneten? Was soll das nun wieder heißen?“
Der Halken deutete auf die Brandnarben in Sarns Gesicht. „Die Flamme konnte dich nicht töten. Und der Schüler konnte dich auch nicht töten. Darauf hat er gewartet.“
Sarn strich nachdenklich über die Narbern, die einen Teil seines Gesichts bedeckten. „Wir werden es nur von ihm selbst in Erfahrung bringen können. Aber jetzt lass mich nach deinem Verband sehen, es ist noch etwas von der Salbe übrig. Und du Erich, bleib in der Nähe. Wer weiß, wann die nächste Vision kommt.“
Erich nickte und kaute vorsichtig den Rest Brot, während Sarn die Wunden des Halken neu verband. Die Schwellung war etwas zurückgegangen, aber noch immer zog sich ein hässlicher Riss quer über die Brust des Orks. Es würde Wochen dauern, bis er einigermaßen wiederhergestellt war, mutmaßte Erich. Er war alles andere als unglücklich darüber. Seine eigenen Verletzungen und Wehwehchen waren zwar weitaus weniger schlimm als die des Halken, aber einige Tage, in denen er nicht durch kalte feuchte Wälder laufen musste, würden ihm gut tun. Er hatte Blasen unter der Hornhaut an seinen Füßen und Ausschlag an seinen Unterarmen. Er fand keine Handbreit Haut an seinem Körper, die nicht zerkratzt, verschorft oder mit einem Stich malträtiert war. Er hatte sein Spiegelbild zwar schon lange nicht mehr gesehen aber er glaubte auch nicht, dass ihm der Anblick gefallen würde.
Während der Halken nach dem Essen wieder einschlief und sich Sarn um seine eigenen kleinen Verletzungen kümmerte, stieg Erich hinauf in den Heuspeicher. Von dort gelangte er durch ein Fenster hinaus auf eine Mauer, von der man einen guten Überblick über die angrenzenden Gebäude hatte. Vom einstigen Wirtschaftsgebäude neben dem Stall waren nun nur noch die Außenmauern und zwei Kamine übrig, die zwischen zerschmetterten Ziegeln und verkohlten Balken herumstanden. Erich ließ seinen Blick umherschweifen und verharrte dann in der Betrachtung des Waldes, der sich ringsum ausbreitete. Nach einer ganzen Weile wandte er den Kopf um mich direkt anzusehen.
„ Habe ich eine Wahl, Icher?“, fragte er.
„ Was meint Ihr damit, Herr? “
„ Gibt es keinen anderen Weg als nach Drachall zu gehen?“
„ Ich fürchte ich verstehe Euch immer noch nicht. “
„ Ich frage mich, ob alles was ich tue, seit ich dich gerufen habe vorherbestimmt ist. Du hast mir gezeigt, dass ich ein Hürnin bin, also schien es das einzig Richtige zu sein nach Hornhus zu gehen und meine Familie zu finden. Aber in Hornhus angekommen wusste niemand etwas von meiner Familie. Es gab nur Sarn, der mich aufnehmen wollte. Dann begannen die Angriffe und ich hatte keine andere Wahl als Hornhus wieder zu verlassen. Chulak war hinter uns her und um ihm zu entkommen, mussten wir über das Sommerfeld. Danach schienen uns alle Wege offen um nach Drachall zu gelangen aber wir wurden gefangen genommen. Und so ging es immer weiter. Verstehst du, was ich meine?“
Ich verneinte verwirrt.
Er schwieg einige Sekunden um nachzudenken und fuhr dann mit nachdenklicher Stimme fort. „Im Dorf hatten wir Kinder ein Spiel: Wir haben kleine rechteckige Holzklötzchen genommen und sie hochkant hintereinander aufgestellt. Man musste nur das erste Klötzchen umwerfen, um sie alle zu Fall zu bringen. Dass ich dich gerufen habe war dieses erste Klötzchen, nur dass ich es weder selbst aufgestellt noch umgeworfen habe.“
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Er hatte damit Recht und es gab tatsächlich nichts, was man dagegen unternehmen konnte – dachte ich zumindest bis Erich mich eines besseren belehrte.
„Die Steine würden dann aufhören zu fallen, wenn ich jetzt da hinunter springen würde.“, sagte er kalt und wies auf den Graben unterhalb der Mauer. Er war voller Steinbrocken, die unter der Schneedecke herausragten.
„ Das ist eine Möglichkeit, die bis zuletzt bleiben wird. “
„ Ach ja? Wird sie das?“, fragte er spöttisch.
„ Ja, das wird sie. “
„ Dann musst du mir etwas versprechen, Icher.“
Eine ungute Vorahnung bahnte sich in mir ihren Weg. „ Was ist es? “
„ Töte mich, wenn ich dich darum bitte.“
Ich war entsetzt. Allein die Vorstellung mich gegen meinen Herrn zu stellen und ihm das Leben zu nehmen, war undenkbar für mich. Selbst wenn er es wollte, konnte ich das nicht tun.
„ Ich … “
„ Versprich es
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