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Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi

Titel: Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Leichnam einen Tritt, was Andrej als ebenso unangemessen wie überflüssig empfand. »Wir haben ihn gefangen genommen, als er versucht hat, sich an Bord des Schiffes zu schleichen.«
    »Und ihn mit der zu Gebote stehenden Rücksichtnahme verhört«, vermutete Abu Dun. Auch Andrej waren die Schnitte und Brandwunden am Körper des Toten nicht entgangen, doch anders als Abu Dun zog er es vor, nichts dazu zu sagen. Auch Sharifs Reaktion beschränkte sich auf ein desinteressiertes Achselzucken. »Er wusste nichts«, sagte er. »Aber seht ihn euch an. Wir haben ihm sein Kat weggenommen, und es brauchte drei meiner kräftigsten Männer, um ihn festzuhalten und zu binden. Am Schluss haben wir ihn in Ketten gelegt, und ich war ganz und gar nicht sicher, dass sie halten.« »Und dann?«, fragte Andrej.
    »Gar nichts, dann«, erwiderte Sharif. »Nach einem Tag hat er aufgehört zu schreien, und nach dem zweiten, an seinen Ketten zu zerren. Ich hätte erwartet, dass es schneller geht, doch der Busche war entweder außergewöhnlich stark, oder das Kat verliert seine Wirkung nicht so rasch, wie ich angenommen habe.« Ein neuerliches beiläufiges Heben der Schultern. »Vielleicht ist die Wirkung auch bei jedem anders.«

Andrej hätte nicht sagen können, was ihn mehr entsetzte: Der Anblick des toten Machdiji und das, was diesem Mann widerfahren war, oder die vollkommene Teilnahmslosigkeit in Sharifs Stimme. Zweifellos war dieser Mann ihr Feind gewesen, und ebenso zweifellos hätte er jeden von ihnen getötet, ohne auch nur einen Atemzug lang zu zögern … aber Sharif hatte dennoch kein Recht, über einen Menschen wie über ein Ding zu sprechen. Leben war heilig, denn es war das Einzige auf dieser Welt, das nicht ersetzt werden konnte. »Das ist es, was Kat einem Menschen antut?«, vergewisserte sich Abu Dun. Seine Stimme klang belegt. »Nein«, antwortete Sharif. »Das geschieht einem Menschen, der kein Kat mehr bekommt. Sieh ihn dir an! Das ist es, was der Machdi seinen Jüngern am Ende gibt.«
    Abu Duns Lippen wurden zu einem dünnen, blutleeren Strich, der sein nachtschwarzes Gesicht wie eine Narbe teilte. Seine Kiefer mahlten, und Andrej konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn zu arbeiten begann. Eine kleine Ewigkeit lang stand er einfach so da und starrte den Toten an, dann fuhr er auf dem Absatz herum und stürmte aus dem Zelt.
    Sharif sah ihm mit gerunzelter Stirn nach, und auch Andrej wartete, bis er sicher war, aus der Hörweite von Abu Duns scharfem Gehör zu sein. »War das nötig?«, fragte er dann. »Deinem Freund zu zeigen, was ihm bevorsteht?« Sharif nickte. »Er ist nicht dumm, Andrei. Er wusste es sowieso. Aber es ist ein Unterschied, etwas zu wissen und es mit eigenen Augen zu sehen.«
    »Ihr wolltet Abu Dun nur ein wenig motivieren«, sagte Andrej böse.
    »Wäre das denn nötig?«
    »Nein«, antwortete Andrej. »Es war unnötig, und es war auch nicht besonders klug. Abu Dun ist kein Mann, der leicht vergisst.«
    »Und jetzt wollt Ihr mir sagen, dass ich es bereuen werde und Euer Freund gefährlicher ist, als ich glaube.«
    Sharif lächelte, und Andrej fragte sich, was er an seinen eigenen Worten so komisch fand, spürte aber, wie sich doch Furcht in dem Janitscharenhauptmann regte. »Aber vielleicht ist es auch ganz gut so«, fuhr er mit veränderter Stimme und Mimik fort. »Ich wollte ohnehin noch allein mit Euch sprechen, Andrej.«
    »Um mich ein bisschen zu erschrecken?«
    »Damit?« Sharif versetzte dem Toten einen weiteren Tritt, und dessen Hand bewegte sich, wie um sich ob der groben Behandlung zu beschweren. »Wohl kaum, Andrej. Es sei denn, ich hätte mich in Euch noch sehr viel mehr getäuscht als in Eurem Freund.«
    »Und warum dann?«
    »Weil das hier –« Ein dritter Tritt, nach dem es Andrej merklich schwerfiel, noch an sich zu halten. »– zugleich auch unsere beste Chance ist.«
    »Ihr wollt sie alle einfangen und so lange in Ketten legen, bis sie am Kat-Entzug sterben«, vermutete Andrej.
    »Leider haben wir kein Schiff mehr, in dem wir so viele Gefangene unterbringen könnten«, antwortete Sharif scheinbar vollkommen ernst, »sonst würde ich Euren Vorschlag ernsthaft in Erwägung ziehen. Aber auch so gibt mir der Anblick Hoffnung. Seht Ihr nicht, wieso?« Selbstverständlich wusste Andrej, worauf Sharif hinauswollte, aber er schüttelte trotzdem den Kopf und antwortete: »Verratet Ihres mir?« Sharif sah beinahe enttäuscht aus. »Ihr habt gesehen, wozu diese Männer fähig sind, solange

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