Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
weiter, bis Andrej ihm nachging und neben ihm stehen blieb. Er sah nach Osten, weiter den Fluss entlang und in Richtung der endlosen Wüsten, die hinter dem schmalen grünen Streifen lauerten, um jeden zu verschlingen, der wagemutig oder dumm (was zumeist ohnehin dasselbe war) genug war, sie zu betreten. Doch als Andrej seinem Blick folgte, erkannte er drei gewaltige dreieckige Schatten, die sich gegen den Nachthimmel erhoben, im Grunde nur daran zu erkennen, dass sie die Sterne an dieser Stelle verdeckten. Und jetzt, einmal darauf aufmerksam geworden, fiel ihm ein, dass sie die drei steinernen Giganten auch schon am zurückliegenden Tag gesehen hatten, doch Andrej hatte ihnen keine große Beachtung geschenkt, abgelenkt durch die eine oder andere Kleinigkeit. Dennoch wusste er natürlich, was er da sah. »Das sind die großen Pyramiden, nicht wahr?«, fragte er. »Ich bin ganz in der Nähe geboren, wusstet Ihr das?«
Sharif machte eine Kopfbewegung zu den drei dreieckigen Schatten am Horizont und ließ sie in einem Nicken enden, mit dem er seine eigene Frage gleich beantwortete, da Andrej es ja schwerlich konnte. »In einem kleinen Ort namens Giza, nur einen Steinwurf entfernt. Sie sind eines der sieben Weltwunder … aber wenn Ihr mich fragt, das einzige, das diese Bezeichnung wirklich verdient.«
»Man sagt, es wären nicht mehr als gewaltige Grabsteine.« Sharif bedachte ihn mit einem Blick, als wäre er erstaunt, diese Worte aus seinem Mund zu hören. »Ja, das glauben die meisten«, sagte er lächelnd. »Aber sie sind so viel mehr.« »Und was?«
»Ich erzähle Euch das nicht, um in Erinnerungen zu schwelgen, Andrej«, sagte Sharif. »Ich kenne mich hieraus und weiß um Dinge, deren Existenz die meisten nicht einmal ahnen. Dieses Land war einmal ein mächtiges Reich, Andrej Delany. Das gewaltigste, das jemals existiert hat, und das über Jahrtausende.« »Und doch ist es verschwunden.«
»Die Wüste hat es verschlungen, und die Menschen haben es vergessen, das ist wahr«, bestätigte Sharif. »Und dennoch ist das meiste noch da, begraben unter Sand und Vergessen.« Er deutete auf einen imaginären Punkt ein kleines Stück rechts der zyklopischen Schatten. »Einst gab es dort eine ganze Stadt und einen mächtigen Hafen, über den all die Menschen und das Material herangeschafft worden sind. Die meisten Gebäude sind verschwunden, aber ein Teil der Hafenanlagen ist noch immer da. Man sieht ihn nicht sofort. Ihr würdet vermutlich darüber stolpern, ohne ihn überhaupt zu bemerken, aber für den, der sich dort auskennt, sind die Überreste unübersehbar.« »Warum erzählt Ihr mir das?«, fragte Andrej. »Weil wir verlieren werden«, antwortete Sharif. »Ich hätte damit gerechnet, dass sie schon heute Nacht erneut angreifen, aber vielleicht brauchen sie diese Zeit, um sich zu sammeln, oder sie warten auf Verstärkung … gleichwie, sie werden erneut angreifen, und ich zweifle nicht daran, dass der nächste Angriff nicht so glimpflich für uns ausgeht.«
Bei passender Gelegenheit, dachte Andrej, würde ersieh mit Sharif über die genaue Bedeutung des Wortes glimpflich unterhalten müssen. Stattdessen sagte er: »Vor ein paar Stunden hat sich das aber noch ganz anders angehört. Was hat Euch bewogen, Eure Meinung zu ändern, Hauptmann?«
»Diese Worte waren für Fernandes bestimmt und alle anderen neugierigen Ohren, die uns vielleicht noch zugehört haben. Was hätte ich sagen sollen? Dass ich nicht glaube, dass auch nur einer von uns den nächsten Sonnenaufgang erlebt?« »Kaum«, gestand Andrej.
»Ich habe ein paar Männer mit Booten losgeschickt, um Hilfe herbeizurufen«, fuhr Sharif fort. »Ich weiß nicht, ob sie überhaupt eine Chance haben durchzukommen, und ob sie rechtzeitig zurück sind, ist fraglich.« S i e hatten keine Chance, dachte Andrej, und das wussten sie beide. Ebenso gut hätte er den Männern gleich selbst die Kehlen durchschneiden können. »Ich bringe die Männer dorthin«, sagte Sharif. »In den Ruinen können wir uns besser verteidigen. Ich weiß nicht, wie lange, aber auf jeden Fall länger als hier.« »Und was sollen Abu Dun und ich tun?«, fragte Andrej, der sich selbst dabei ertappte, dass ihm eine ehrliche Antwort auf diese Frage unangenehm gewesen wäre. »Offiziell werdet ihr aufbrechen, um das Lager der Machdiji auszukundschaften. Man sagt, Ihr und Euer Freund hättet außergewöhnlich scharfe Sinne, und ihr wärt unübertroffen darin, euch lautlos zu bewegen … auch wenn
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