Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
hätte eigentlich kein zweites Mal hinsehen müssen, um zu erkennen, dass sie sie auch gerade deshalb zugleich erreichen mussten. Und ihre Übermacht war so groß, dass er kaum wagte, an den ihnen bevorstehenden Kampf zu denken.
Schließlich deutete er zum anderen Ufer, das ihm nun meilenweit entfernt schien, kaum mehr als ein rauchig grüner Strich vor einem Horizont, der sich in flimmernder Hitze und Gelb- und Brauntönen auflöste. »Wenn wir es bis dorthin schaffen, haben wir eine gute Chance.«
Sharif sah ihn an, als mutmaßte er zumindest, dass Andrej kaum mehr getan hatte, als zu raten (womit er der Wahrheit ziemlich nahegekommen wäre), sagte aber trotzdem:
»Wenigstens eine größere als auf dem Wasser. Aber ihre Schiffe sind schneller.«
Andrej sah ihn nur schweigend an. Mit grimmigem Gesicht fuhr Sharif fort: »Ihr wollt, dass ich es ausspreche, ich verstehe.«
»Was?«, fragte Andrej.
»Dass man manchmal einen Teil opfern muss, um das Ganze zu retten.« Sharif sah Abu Duns verbundenen Armstumpf an, dann in sein Gesicht. »Nicht wahr?«
»Wie viel Munition habt Ihr noch, Hauptmann?«, fragte Andrej hastig und eigentlich nur, um Abu Dun zuvorzukommen, der den Hauptmann auf eine Art musterte, die ihm gar nicht gefiel. Möglicherweise dachte er darüber nach, etwas zu tun, was Sharif noch viel weniger gefallen würde.
»Nicht genug«, erwiderte Sharif. »Es ist nie genug.« Damit stieß er dem erstbesten Mann, der das Pech hatte seinem Blick zu begegnen, den Zeigefinger so heftig vor die Brust, dass man es hören konnte. »Du! Gib den anderen Booten Bescheid, dass sie sich zum Angriff bereit machen! Und sorg dafür, dass endlich dieses verdammte Segel gesetzt wird!«
Der Mann hastete davon, soweit es auf dem überfüllten Deck des kaum dreißig Fuß messenden Schiffes möglich war. Sharif wandte sich wieder an Andrej »Und jetzt?« »Wenn Ihr an Allah glaubt, dann solltet Ihr beten, Hauptmann«, antwortete Andrej. »Und wenn nicht, auch«, fügte Abu Dun hinzu. »Schaden kann es ja schließlich nicht.«
Sharif setzte zu einer zornigen Antwort an, kam jedoch nicht dazu, denn in diesem Moment spannte sich das Segel mit einem Knall, und das Boot zitterte wie unter dem Fußtritt eines Riesen. Ein Schrei erscholl und endete in einem lautstarken Platschen, als einer der Männer das Gleichgewicht verlor und über Bord fiel. Andrej versuchte erst gar nicht zu helfen. Wenn andere es nicht übernahmen, war auch dieser Mann verloren, denn auf dem hoffnungslos überfüllten Schiff war es praktisch unmöglich, sich zu bewegen. Er vermutete, dass es den Männern gelang, ihren Kameraden wieder an Bord zu ziehen, denn er hörte zwar aufgeregte Stimmen, aber keine Schreckensrufe, wie sie erklangen, wenn Menschen hilflose Zeugen eines Unglücks werden. Lieber konzentrierte ersieh darauf, die beiden näher kommenden Flotten zu beobachten und ihre Chancen abzuwägen, das gegenüberliegende Ufer tatsächlich zu erreichen, und das vorzugsweise lebend. Sie standen nicht gut. Auch die zweite Dau hatte Segel gesetzt und gewann sichtbar an Fahrt, doch das Problem waren die anderen Boote, die über keine Segel verfügten, sondern nur gerudert werden konnten. Allein durch ihre schlanke Bauart wären sie unter normalen Umständen vermutlich genauso schnell gewesen wie die Daus, wenn nicht schneller, doch sie waren so überladen, dass es Andrej beinahe wie ein kleines Wunder vorkam, dass sie nicht untergingen. Zugleich waren sie natürlich auch waffenstarrende schwimmende Festungen, die einen schrecklichen Blutzoll von den angreifenden Machdiji verlangen mussten. Aber das würde nichts am Ausgang der Schlacht ändern – wie auch? Wie sollten sie einen Feind besiegen, der sein eigenes Leben als mächtigste Waffe in den Kampf warf?
Neben ihm begann sich Murida unbeholfen zu regen. Andrej streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen. Erst starrte sie ihn nur finster und aus immer noch leicht verschleierten Augen an, doch dann klärte sich ihr Blick, und sie opferte ihren Stolz, als sie begriff, dass sie sich auf dem überfüllten Deck aus eigener Kraft vermutlich gar nicht hätte aufrichten können.
Sie zu berühren war … seltsam. Es dauerte nur den Bruchteil eines Augenblickes, denn kaum stand sie wieder auf eigenen Füßen, da zog sie die Hand so hastig zurück, als hätte sie glühendes Eisen berührt oder sich besudelt, doch in diesem winzigen Moment war es mehr als nur eine Berührung. Da war etwas, tief in ihr, das ihm auf
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