Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Pause und in feindseligem Ton. Aber immerhin sprach sie mit ihm.
»Das weiß ich«, erwiderte Andrej.
»Warum fragst du dann?«, versetzte Murida schnippisch.
»Eigentlich wollte ich auch eher wissen, warum du überhaupt damit angefangen hast. Du glaubst doch diesen Unsinn von der Unsterblichkeit nicht etwa, oder?«
Muridas Blick saugte sich an der Stelle seines Mantels fest, unter der er das Kat trug. Schließlich sah sie ihm wieder ins Gesicht, und das auf eine Art, die ihn mit wachsendem Unbehagen erfüllte, ohne dass er selbst genau sagen konnte, warum.
»Es war der einzige Weg«, sagte sie schließlich. »Zur Unsterblichkeit?«, stichelte Andrej und bedauerte diese ebenso überflüssige wie dumme Bemerkung schon, bevor er sie ganz ausgesprochen hatte. Murida schüttelte jedoch nur den Kopf.
»Ihr Vertrauen zu erringen.« Sie deutete auf seinen Mantel. »Nur wer das heilige Kat nimmt, der hat eine Chance, den Machdi selbst zu treffen.«
»Und für diese Ehre mit seinem Leben zu bezahlen?« In Muridas Augen blitzte es kampflustig auf, doch ihr Zorn erlosch, noch bevor er ganz erwachen konnte, und ihre Stimme wurde leiser. »Glaubst du, sie hätten es mir verraten? Es war viel zu spät, als ich begriffen habe, was es wirklich bedeutet. Und selbst wenn ich es gewusst hätte«, fügte sie in plötzlich wieder scharfem Ton hinzu, »dann hätte das nichts geändert.«
»Weil du …« Beinahe hätte er gesagt: deinem Vater. »…
Sharif versprochen hast, den Machdi zu finden? Ist dir nie in den Sinn gekommen, wie gefährlich es sein könnte?
Dass es dich das Leben kosten könnte?«
»Aber so ist es nicht, Andrej. Du hast mit deinem Freund gesprochen! Hat er dir nicht gesagt, was das Kat für ihn tut?«
»Dass es ihn umbringt?« Andrej nickte. »Doch.« »Aber das tut es nicht!« Murida schüttelte heftig den Kopf. »Du musst den Weg zu Ende gehen, Andrej! Ich weiß, nicht allen gelingt es. Manche scheitern auf halber Strecke –«
»Du meinst, sie sterben.«
»– doch wer sich als würdig erweist, dem wird die größte aller Belohnungen zuteil«, fuhr Murida so unbeeindruckt fort, als hätte er gar nichts gesagt. »Ich weiß, dass du mir nicht glaubst. Ich selbst habe es auch nicht geglaubt.«
»Ich wünschte, du könntest dich selbst hören«, seufzte Andrej. Trauer ergriff ihn, als er die neu aufflammende Begeisterung in ihren Augen sah, geweckt von der Kraft der drei grünen Blätter, die er ihr gegeben hatte, derselben Kraft, die sie zugleich von innen heraus verzehrte.
Aber auch Zorn auf das Ungeheuer, das ihr das angetan hatte.
»Ich habe genauso gedacht wie du«, sagte Murida noch einmal. »Aber ich habe die gesehen, die den Weg zu Ende gegangen sind!«
»Du redest Unsinn, Mädchen«, sagte er mit rauer Stimme.
»Erinnerst du dich an meinen angeblichen Vater?« Andrej starrte sie an. Ihr angeblicher Vater? Wusste sie denn, dass …?
»Der alte Mann in Konstantinopel, mit dem ich auf dem Markt aufgetreten bin. Du hast ihn kennengelernt. Was glaubst du, wie alt er war? Über hundert Jahre! Weit über hundert Jahre!«
»Und woher weißt du das?«, fragte Andrej. »Hat es dir seine Mutter gesagt?«
»Spotte ruhig«, erwiderte Murida. »Vielleicht wirst du die Wahrheit doch noch erkennen. Ich hoffe nur für dich, dass es dann nicht zu spät ist.«
Andrej schluckte eine Antwort hinunter. Es gab viel, was er ihr hätte entgegenhalten können, und jedes einzelne Argument wäre stichhaltig und richtig gewesen, zugleich aber auch nicht mehr als verschwendeter Atem, wie er nur zu gut wusste. Er hatte zu oft mit Süchtigen gesprochen, um sich anderes einreden zu können. Statt die sinnlose Diskussion fortzuführen, griff er erneut unter seinen Mantel. Mit gierigem Blick folgte Murida seiner Bewegung, doch dann erschien Enttäuschung auf ihrem Gesicht, als er einen Leinenbeutel mit getrockneten Datteln hervorholte. Nicht unbedingt seine Lieblingsspeise. Ganz im Gegenteil. Erfand, dass Datteln so schmackhaft waren, wie sie aussahen. Aber es war gutes Essen, und Murida brauchte Kraft.
»Nimm«, sagte er, als sie die Hand so hastig zurückzog, als hätte er ihr ein besonders ekelhaftes Insekt angeboten. »Du musst essen. Wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns.«
»Wohin gehen wir denn?«, fragte Murida, ohne nach der dargebotenen Dattel zu greifen.
»Sag du es mir«, verlangte Andrej.
»Weißt du es denn nicht?« Murida legte fragend den Kopf auf die Seite.
»Nein«, behauptete Andrej.
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