Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
fingerdicken Brettern bestehende Klappe geöffnet, unter der ein rechteckiger Schacht zum Vorschein kam. Sand rieselte mit einem seidigen Geräusch hinein und zerstob zu staubfeinen Schleiern, sodass es selbst seinen scharfen Augen nicht möglich war, die genaue Tiefe des Schachtes zu erkennen oder gar, was sie darunter erwarten mochte. Uralte, abgestandene Luft schlug ihm entgegen und vielleicht ein ganz sachter Hauch von lange zurückliegendem Tod, aber das mochte ihm auch seine eigene Fantasie vorgaukeln. »Was ist dort unten?«, fragte er. »Spring doch hinein und sieh nach«, schlug Hadschi vor. Andrej machte ein nachdenkliches Gesicht. »Vielleicht ist das nicht einmal die schlechteste Idee. Aber noch besser gefällt mir die Vorstellung, dass du es tust.« Und damit war er schnell wie ein Gespenst hinter Hadschi und stieß ihm die flache Hand so wuchtig zwischen die Schulterblätter, dass er mit einem überraschten Schrei und rudernden Armen nach vorne kippte und in der Tiefe verschwand. Das Geräusch des Aufpralls war sonderbar weich und erfolgte fast augenblicklich, und es wurde gleich darauf von einer Flut wüster Beschimpfungen und Flüche verschluckt.
»Besonders tief scheint es nicht zu sein«, sagte er.
Murida verdrehte die Augen, sprang aber, ohne zu zögern, ebenfalls in die Tiefe. Andrej ließ gerade genug Zeit verstreichen, um nicht auf sie zu springen, bevor er ihr folgte.
Der Sprung war nicht besonders tief, vielleicht drei oder vier Meter. Er landete mit dem einen Fuß auf weichem Sand und dem anderen auf etwas nicht ganz so Weichem, das ein schmerzerfülltes Zischen und einen Fluch ausstieß.
Hadschi lebte noch, ganz ohne Zweifel.
»Einen Moment«, drang Muridas Stimme aus der Dunkelheit. Das Echo ihrer Worte verriet Andrej, dass sie sich in einer rechteckigen Kammer befanden, die kaum hoch genug war, um aufrecht darin zu stehen. »Ich mache Licht.«
Etwas klickte – das Geräusch von Feuersteinen, die aneinanderschlugen-, dann brannte sich ein winziger Funke durch die Schwärze und wurde zur prasselnden Flamme einer kleinen Fackel, die so dicht über Muridas Hand brannte, dass sie Gefahr lief, sich zu versengen.
Dafür, dass sie sich hier eigentlich nicht auskennen konnte, dachte Andrej, fand sie sich ziemlich gut zurecht.
Er hörte ein Japsen und kam endlich auf die Idee, den Fuß von Hadschis Brustkorb zu nehmen, richtete sich auf und stellte fest, dass der Raum noch niedriger war, als er angenommen hatte, als er mit dem Kopf gegen die Decke stieß. Wie die Klappe weiter oben bestand sie aus dicken, grob zusammengefügten Brettern, durch die sofort ein wahrer Wolkenbruch aus Sand kam, der ihn zum Husten brachte und unter jeden Fetzen Stoff kroch, den er am Leibe trug.
»Bewegt euch besser nicht zu heftig«, sagte Murida. »Ich bin nicht sicher, wie lange das hier noch hält. Es ist sehr alt.«
Gebückt, um nicht ebenfalls gegen die Decke zu stoßen, ging sie zur gegenüberliegenden Wand der Kammer-der einzigen, die aus sandfarbenem Stein bestand, nicht aus Holz-, ließ sich davor auf die Knie sinken und strich mit der freien Hand über den Fels, offenbar auf der Suche nach etwas.
Etwas klapperte. Erschrocken fuhr Andrej herum und hob gerade rechtzeitig den Kopf, um eine Ladung Sand ins Gesicht zu bekommen, die aus dem Schacht herunterstürzte. Sein gemurmelter Fluch ging fast in dem polternden Geräusch unter, mit dem die Klappe am oberen Ende des Schachtes wieder geschlossen wurde. Dann hörte er ein anderes, weicheres Geräusch, das ihm einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ: Es war das Geräusch, mit dem Sand auf die hölzerne Klappe geschaufelt wurde.
»Was bedeutet das?«, fragte er beunruhigt.
»Niemand darf diesen Ort finden«, antwortete Murida.
»Ich will ja nicht kleinlich erscheinen«, meldete sich Hadschi zu Wort, »aber hat jemand einen Vorschlag, wie wir hier wieder herauskommen?«
Angesichts der geringen Deckenhöhe war er erst gar nicht aufgestanden, sondern auf den Knien hocken geblieben, hatte aber den Kopf in den Nacken gelegt und sah mit einem Ausdruck leiser Sorge in den Schacht hinauf, durch den sie hierherunter gekommen waren. Andrej musste ihm recht geben. Der Schacht war deutlich tiefer, als er angenommen hatte – gute vier Meter, wenn nicht mehr-, und seine Wände bestanden aus nichts anderem als Sand, der unter seinem eigenen Gewicht und der Last der Jahrhunderte zu etwas zusammengepresst worden war, das vielleicht wie Stein aussah,
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