Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Hieroglyphen und Worte einer Sprache, die vielleicht niemals von Menschen gesprochen worden war und vor deren bloßem Anblick etwas in ihm zurückschrak. Aber da waren auch Bilder von Menschen und Tieren und Gebäuden und Landschaften, von Ereignissen und großen Momenten der Historie, Augenblicken, die den Lauf der Geschichte geändert hatten, neben kleinen Szenen des täglichen Lebens, die bedeutungslos erschienen und doch ebenso wichtig waren, weil alles zählte, was Menschen taten -genauso wie das, was sie versäumten zu tun. Dann verstand er, dass es nicht seine Gedanken waren. Da waren flüsternde Stimmen, die sich in einer Schwärze jenseits der Finsternis verbargen und Worte süßer Verlockung und ungeheuerlicher Versprechen raunten, denen er weder widerstehen konnte noch wollte. Und die düsteren Wunder hörten nicht auf: Je längerer hinsah, desto verwirrender wurde der Tanz von Schatten und Licht. Bald schien es, als begännen sich die Symbole und Bilder zu bewegen, Geschichten zu erzählen, düstere Legenden von Menschen und Völkern, von Vergangenheit und Zukunft, die zu verändern ebenso in seiner wie in der Macht jedes einzelnen Menschen lag, und schien er noch so gering, und die …
Andrej begriff die Gefahr- und ihren Verursacherim letzten Moment, war mit einem einzigen Schritt neben der Säule und legte die flache Hand auf den Stein. Das rote Licht floh vor seiner Berührung, und das Flüstern hinter seiner Stirn verstummte.
»Lass das!«, sagte er scharf. »Diese Tricks funktionieren bei mir nicht.«
»Nein, natürlich nicht.« Wieder machte der Machdi jene kaum sichtbare Geste, und die Schatten zogen sich zurück.
»Verzeih. Manche … schlechte Angewohnheiten … lassen sich nur schwer ablegen.«
»Was genau wolltest du uns zeigen?«, fragte Andrej kühl.
Er hatte Mühe, einigermaßen beherrscht zu klingen. Mit jedem Augenblick verspürte er mehr den Wunsch, diesen unheimlichen Ort zu verlassen, den er niemals hätten betreten sollen.
»Aber hast du es denn nicht längst gesehen?«, erwiderte der Machdi, beide Arme hebend, sodass sich sein Mantel bauschte wie die Flügel einer riesigen Fledermaus – eine dramatische, zugleich aber auch bemerkenswert alberne Geste, von der Andrej annahm, dass er sie sorgsam eingeübt hatte. Doch zu seinem Verdruss musste ersieh eingestehen, dass sie ihre Wirkung auch auf ihn nicht gänzlich verfehlte.
»Schaut euch um! Ihr steht im Herzen unserer Geschichte!
Der Geschichte des mächtigsten Reiches, das je existierte! Wir waren ein gewaltiges Volk, Andrej, ein großes Volk, stolz und gerecht!«
»Ja, gewiss«, sagte Andrej spöttisch. Er deutete mit dem Kopf zur unsichtbaren Decke hoch. »Ist das nur deine Meinung oder auch die der hunderttausend Sklaven, mit deren Blut diese Gräber gebaut worden sind?«
Sein Versuch, den Machdi aus der Reserve zu locken, verfing nicht. Immerhin ließ er die Arme wieder sinken, sodass er jetzt nicht mehr wie eine menschengroße Fledermaus aussah. »Sie sind viel mehr als nur Gräber«, sagte er. »Und ich habe nie behauptet, dass alles gut war. Sie waren Menschen, Andrej Delany, und Menschen machen Fehler. Schlimme Fehler. Dinge, die niemals hätten geschehen dürfen. Aber könnte man das nicht über alle Völker sagen und zu allen Zeiten?« Andrej wollte antworten, doch der Machdi sprach bereits weiter. »Menschen sind nicht perfekt, Andrej, so hat Gott sie nicht geschaffen, und nichts, was Menschen tun, kann jemals perfekt sein oder fehlerlos. Aber bedeutet das auch, dass wir nicht wenigstens versuchen sollten, Perfektion zu erreichen, oder uns ihr so weit wie möglich anzunähern?« »Und was hast du jetzt vor, großer Prophet?«, fragte Andrej spöttisch. Wie seltsam … aber er hatte das Gefühl, dieses Gespräch schon einmal geführt zu haben. Und er glaubte sogar zu wissen, mit wem. »Das alte Weltreich der Pharaonen wiederauferstehen zu lassen? Was für eine wunderbare Idee! Wie viele Kriege haben sie noch einmal geführt?«
»Zu viele«, gestand der Machdi unumwunden. »Und ich bin nicht dumm. Das Pharaonenreich ist vergangen. Und wahrscheinlich zu Recht. Niemand kann die Vergangenheit wieder zum Leben erwecken. Aber wir können aus ihren Fehlern lernen und versuchen, eine bessere Zukunft für uns zu schaffen.« »Ein ehrgeiziger Plan.«
»Hat dir niemand gesagt, dass man durchaus nach den Sternen greifen darf, auch wenn man genau weiß, dass man sie nicht erreichen kann?«
»Du willst, dass wir uns dir
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