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Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi

Titel: Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und für einen Moment war er in Gefahr, in den Strudel aus Vergessen gesogen zu werden, hinab über die Klippen eines Abgrundes, aus dem es kein Zurück mehr gab, nicht einmal für ihn. Instinktiv wehrte er den Ansturm ab, suchte nach der Ursache dieser eisigen Verlockung. Ein Teil von ihm wurde zu ihr, ein winziger strahlend heller Funke seiner eigenen Lebenskraft, der die schon im Erlöschen begriffene Flamme tief in ihr neu entzündete und heller und heißer denn je und auf neue, fremde Art brennen ließ, ohne dass er begriff, was er gerade getan hatte.
    Es dauert lange, ungewöhnlich lange, auch wenn er nicht genau sagen konnte, wie viel Zeit verging. Als sich der Nebel von seinen Sinnen hob, atmete Murida wieder, wenn auch so flach, dass es kaum zu erkennen war. Aber aus der Wunde über ihrem Herzen floss kein Blut mehr, und die Kälte und die Düsternis waren noch immer in ihr. Doch sie hatte den Kampf aufgenommen, und auch wenn er ganz und gar nicht sicher sein konnte, dass sie ihn auch gewann, spürte er zugleich, wie stark sie war. Alles drehte sich um ihn. Er fühlte sich so schwach und ausgelaugt, als wäre er eine Million Meilen weit gerannt. Selbst sich hochzustemmen, kostete ihn fast mehr Kraft, als er aufbringen konnte. »Wird sie es überleben?«
    Müde drehte Andrej sich herum und hatte Mühe, den Blick auf die Gestalt zu fokussieren, die immer wieder mit den Schatten des Säulenwaldes verschmolz. »Das weiß ich nicht«, antwortete er ehrlich. »Aber ich hoffe es. Sie ist stark.«
    »Das war sie schon immer.« Stoff raschelte, und erst jetzt sah Andrej, dass Sharif neben einem zweiten, reglosen Umriss kniete und sich an ihm zu schaffen machte. Langsam ging er hin, ließ sich neben dem Toten in die Hocke sinken und drehte ihn auf den Rücken. Hadschis Genick war gebrochen, sodass sein Kopf haltlos hin und her rollte, und seine weit aufgerissenen Augen waren leer. Dennoch tastete Andrej nach seinem Puls und lauschte auch einen Moment lang konzentriert in ihn hinein. Doch da war nichts mehr. Der Mann war tot, und das schon seit einer geraumen Weile. Sein Körper erkaltete bereits. Andrejs Kampf um Muridas Leben hatte länger gedauert, als ihm bis jetzt klar gewesen war. »Er ist tot«, sagte Sharif überflüssigerweise. »Du hast gründliche Arbeit geleistet.«
    »Ja«, erwiderte Andrej einsilbig. Er begann Hadschis Kleider zu durchsuchen, schnell, aber gründlich und ohne Ergebnis. Alles, was er bei sich hatte, war ein fast leerer Wasserschlauch und ein schmaler Beutel mit einigen kleinen Münzen. »Bedauerst du es?«
    »Wir hätten ihm ein paar Fragen stellen können.« »Das ist nicht nötig.« Sharif schüttelte den Kopf. »Alle Fragen, die du hast, kann ich dir beantworten.« Er ließ sich ebenfalls in die Hocke sinken und lachte leise und sehr bitter. »Es war mein Fehler, Andrej. Ich hätte es wissen müssen. Niemand kennt Sultan Süleyman so gut wie ich … oder sollte es wenigstens. Immerhin habe ich es ihm beigebracht.«
    »Was?«, tat Andrej ihm den Gefallen zu fragen. »Niemandem zu trauen und schon gar nicht denen, die ihm genau das raten.« Wieder lachte Sharif schmerzlich. »Süleyman ist jemand, der es liebt, Pläne in Plänen zu verstecken.«
    »Ja, und ich glaube, ich weiß, wer ihm das beigebracht hat«, sagte Andrej. »Er hat dir auch nicht vertraut.« »Süleyman vertraut niemandem. Nicht einmal sich selbst«, antwortete der Machdi, und es hörte sich an, als meinte er es vollkommen ernst. »Ich habe gegen meine eigene Grundregel verstoßen.« Er versetzte dem Toten einen heftigen Stoß mit der flachen Hand, der seinen Kopf hin und her rollen ließ, wie um ihm spöttisch recht zu geben. »Ich habe ihn unterschätzt. Er hat den Dummkopf gespielt, und das perfekt.« Er holte aus, als wollte er Hadschis Leichnam einen weiteren Hieb versetzen, stand dann aber verächtlich schnaubend auf. »Wäre es nicht so grausam, dann könnte man darüber lachen. Er hat einen Mann auf mich angesetzt, und ich habe ihm auch noch gezeigt, wie!« »Auf den Machdi«, sagte Andrej.
    »Den Machdi?« Sharif schüttelte heftig den Kopf. »Hast du es immer noch nicht begriffen, Andrej? Es gibt keinen Machdi! Es hat ihn nie gegeben!« Mit einer zornigen Bewegung streifte er den goldbestickten Mantel ab, warf ihn zu Boden und begann unverzüglich auch die goldenen Ringe von seinen Fingern zu zerren. Fast angewidert schleuderte er sie von sich. Mit einem hellen Klingen prallten sie von den steinernen Fliesen ab

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