Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
War da etwas wie Zufriedenheit in Sharifs Stimme gewesen?
»Warum erklärst du es mir dann nicht?«
Vielleicht einzig, um Zeit zu gewinnen, griff Andrej nach dem Dolch, den er aus der Wunde gezogen hatte und hielt ihn prüfend ins Licht. Der rote Fackelschein ließ das geronnene Blut auf der papierdünnen Klinge schwarz erscheinen und winzige Schatten über den schmucklosen Griff huschen, als versuchte sich die Waffe seinem Blick zu entziehen, aber er sah dennoch, dass es sich um ein ganz besonders heimtückisches Messer handelte. Schlank und perfekt ausbalanciert, war es dazu gedacht, unter jedweder Art von Kleidung verborgen zu werden und ebenso lautlos Kehlen durchzuschneiden wie geworfen zu werden. Die Waffe eines Attentäters, nicht eines Kriegers.
»Er hätte mich treffen sollen, nicht sie«, sagte Sharif, statt auf einer Antwort zu bestehen.
»Ja«, sagte Andrej. »Er war für den Machdi bestimmt, nicht für seine Tochter.« Er sah Sharif fest in die Augen.
»Aber dann wärst du jetzt tot.«
»Weil du mich nicht gerettet hättest?«
Andrej schwieg, und Sharif war klug genug, nicht auf einer Antwort zu beharren. Stattdessen nahm er Andrej den Dolch aus der Hand und betrachtete ihn. Er sah Überraschtaus, aber auch ein bisschen besorgt, als er ihm das Messer zurückgab.
»Du kennst diese Art von Waffe?«, vermutete Andrej.
Sharif nickte. »Das ist die Waffe eines Haschischin«, sagte er.
»Haschischin?«
»Ein Assassine«, erklärte Sharif. »Die meisten nennen sie so, aber eigentlich –«
»Ich weiß, was ein Haschischin ist«, unterbrach ihn Andrej, der einen überraschten Blick auf den toten Hadschi nicht zurückhalten konnte. »Aber ich dachte, sie wären nur eine Legende.«
»Mindestens einen von ihnen gab es wohl noch«, erwiderte Sharif mit einem humorlosen Verziehen der Lippen, das nicht einmal annähernd wie ein Lächeln aussah. »Und so wie dir geht es den meisten. Sie legen keinen großen Wert darauf, dass jedermann von ihrer Existenz weiß.«
Andrej hätte beinahe geseufzt. Aber er schwieg und wartete, dass der Hauptmann fortfuhr.
»Aber das sagt man ja auch von Vampyren, nicht wahr … dass sie nur eine Legende sind.«
Andrej hätte lieber über den Haschischin und seine Verbindung zu Sultan Süleyman gesprochen, nickte aber trotzdem. »Und es ist auch wahr«, sagte er. »Es gibt keine Vampyre, die Blut trinken und sich des Nachts in Fledermäuse verwandeln. Wenn du also irgendwo einen Beutel mit Knoblauch und eine Flasche mit geweihtem Wasser versteckt hast, dann muss ich dich enttäuschen.
Weder das eine noch das andere wirkt bei mir.« Sharif blieb ernst. »Manche halten euch dafür«, sagte er. »Solche wie deinen Freund und dich.«
»Solche wie uns«, wiederholte Andrej.
»Ich wollte dich nicht beleidigen«, versicherte Sharif rasch. »Sag mir einfach, wie ich dich nennen soll.«
»Ungläubiger?«, schlug Andrej vor. Er schüttelte den Kopf, als Sharif etwas erwidern wollte. »Schluss mit dem Geplänkel.« Er musste an die Kämpfe der letzten Tage denken, und zusammen mit den Bildern sterbender entstellter Janitscharen und Machdiji stieg eine ungeheure Wut in ihm hoch. »Du hast deine Soldaten und deine Rebellen in blutigen Schlachten aufeinandergehetzt.
Empfindest du Vergnügen daran, Menschen sterben zu sehen?«
Sharif zog eine Augenbraue hoch. »Ich glaube, du verwechselst da etwas. Es sind weder meine Soldaten noch meine Rebellen. Und außerdem ist alles ganz anders, als du denkst. Komplizierter. Oder auch einfacher.« Er winkte ab, als Andrej einhaken wollte. »Du wirst das alles noch verstehen, und ich werde dir keine Antwort schuldig bleiben, das verspreche ich dir. Aber hier ist weder der rechte Ort noch der richtige Zeitpunkt für lange Erklärungen …«
Murida wimmerte leise, und ihre Augenlider hoben sich für einen Moment, auch wenn ihr Blick noch verschleiert war. Als Sharifs Fingerspitzen zärtlich über ihre Wange strichen, entspannte sie sich wieder. Ihrer Bewusstlosigkeit würde ein ebenso tiefer Schlaf folgen, für viele Stunden, wenn nicht für Tage. Aber so viel Zeit hatten sie nicht. Auch nicht, um all die Fragen zu stellen, die Andrej hatte.
Aber er würde auch keine einzige davon vergessen und Sharif beim Wort nehmen und ihm die Erklärung für das Blutbad abverlangen, das er angerichtet hatte.
Und auch, warum er Murida so gequält hatte.
»Gibt es noch einen anderen Weg hier heraus?«, fragte er. »Einen, auf dem wir nicht durch das
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