Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Fortmüssen?«
»Schon, aber –«
»Oder traust du den Männern, die dort auf uns warten?«
Sharif sah zu dem Attentäter hin, überlegte dann kurz und schüttelte schließlich den Kopf. Er sagte nichts. »Gut«, sagte Andrej. Er deutete auf die Fackel, die Murida fallen gelassen hatte. »Dann geh voraus. Ich trage sie.«
Sharif griff zwar gehorsam nach der Fackel, allerdings nur, um sie Andrej zu reichen. »Du leuchtest uns«, sagte er knapp. »Sie ist meine Tochter.«
Weder machte Sharif den Eindruck, als würde ersieh von diesem Entschluss abbringen lassen, noch hatte Andrej es vor. Was er getan hatte, hatte ihn erschöpft, denn so unendlich viel Kraft er daraus schöpfte, ein anderes Leben zu nehmen, so viel kostete es ihn auch, neues zu geben. Sharif war stark genug, um das Mädchen zu tragen, wenn es sein musste, auch über eine größere Strecke hinweg. Und vermutlich war es sicherer, wenn er beide Hände frei hatte, um sie zu verteidigen - gegen wen oder was auch immer. Er versuchte nicht, Sharif zurückzuhalten, berührte das Mädchen aber noch einmal wie zufällig an der Schläfe und öffnete alle seine Sinne. Da war nichts, außerdem stummen Ringen von unlöschbarem Feuer und alles verzehrender Dunkelheit.
Was immer er in ihr zu spüren geglaubt hatte, war nicht mehr da. Vielleicht hatte er es sich ja auch nur eingebildet.
Auf eine Kopfbewegung Sharifs hin gingen sie los. Ganz wie er es schon vermutet hatte, waren sie nicht sehr weit gekommen. Schon nach wenigen Dutzend Schritten erreichten sie wieder den Kultplatz mit seinen unheimlichen Statuen. Jemand – vermutlich Hadschi -hatte die Feuerschalen gelöscht, sodass das einzige Licht von der Fackel in Andrejs Hand kam. »Was ist das hier?«, fragte er, hauptsächlich um eine menschliche Stimme in diesem unterirdischen Reich der Finsternis und der Gespenster erklingen zu lassen. »Irgendein altes Heiligtum«, antwortete Sharif. »Vielleicht ein unterirdischer Tempel oder ein Grab. Die früheren Herrn dieses Landes hatten eine Vorliebe für prachtvolle Grabmäler.«
Andrej fragte sich, ob Sharif nicht eine Spur zu schnell geantwortet hatte oder zu beiläufig, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Er wollte sich nicht von dem unheiligen Geist dieses Ortes anstecken lassen und jedes von Sharifs Worten anzweifeln. Trotzdem fragte er: »Woher kennst du ihn?« Die menschengroße Statue mit dem Falkenkopf, an der sie gerade vorbeigingen, schien seine Frage mit einem missbilligenden Stirnrunzeln zu kommentieren, und einen kurzen Moment meinte er, gesehen zu haben, wie die Statue einer Katzengöttin die Lefzen zurückzog und ihre dolchspitzen Fänge bleckte. Waren es überhaupt Statuen oder vielleicht doch in der Zeit erstarrte Dämonen, die seit einem Jahrtausend darauf warteten, dass sich ein leichtsinniger Narr, dessen Seele sie verschlingen konnten, hierherunter verirrte?
»Ich habe ihn vor vielen Jahren entdeckt«, sagte Sharif. Es dauerte einen Moment, bis Andrei begriff, dass es die Antwort auf seine eigene Frage war. Ihm kam es vor, als wäre es Stunden her, dass er sie gestellt hatte. Vielleicht verging die Zeit hier unten tatsächlich anders. »Einfach so?« Andrej blieb stehen, um eine aus schwarzem Granit gemeißelte Skulptur zu betrachten, die ihn und sogar Sharif um ein gutes Stück überragte: eine Mischung aus einem unglaublich muskulösen Mann und einem Geschöpf, von dem er nicht einmal wusste, ob es überhaupt einem lebenden Tier nachempfunden war. Wenn, dann keinem, von dem er jemals gehört hatte. »Wenn du an Zufall glauben willst.« Sharif hielt ebenfalls an. »Du kennst ja meine Vorliebe für alte Gemäuer. Wir haben in der Ruine oben gelagert, und ich konnte der Verlockung nicht widerstehen, den Schacht zu erkunden … aber wahrscheinlich ist der Zufall gar nicht einmal so groß.«
»Weil die Geister der alten Pharaonen dich gerufen haben?« Das sollte ein Scherz sein, aber Andrej bedauerte die Worte schon, bevor er sie ganz ausgesprochen hatte. Dies war kein Ort für Scherze. »Für die alten Herrscher dieses Landes war diese Seite des Flusses das Reich der Toten«, erinnerte Sharif. »Wahrscheinlich gab es zahllose solcher Gräber.« Er nickte zu der Statue. Andrej sah erst jetzt, dass sie beschädigt war. Zwei ihrer Finger, die ihm viel zu lang erschienen und zu viele Gelenke hatten, waren abgebrochen, sodass er klar erkennen konnte, dass sie aus hartem Fels bestanden und sonst nichts. Dennoch musste ersieh des immer
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