Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
damit ich dir widerspreche, dann muss ich dich enttäuschen«, antwortete Andrej lächelnd, schob Sharif mit sanfter Gewalt aus dem Weg und legte die Fingerspitzen auf Muridas Hals, wie um nach ihrem Puls zu tasten. In Wahrheit lauschte er in sie hinein und stellte zufrieden fest, wie ruhig und stark ihre Lebensflamme brannte. Da war jetzt etwas Vertrautes in ihr, dasselbe Wispern und Raunen tief am Grunde ihrer Seele, das auch Abu Dun und ihn zu dem machte, was sie waren, ohne dass sie jemals begriffen hätten, wieso. Er fragte sich, ob sie auch dasselbe Ungeheuer in sich entdecken würde wie sie, und wenn, ob sie es besiegen konnte.
»Also?«, fragte Sharif.
Andrej hob nur die Schultern und stand auf, um seine Umgebung noch einmal zu mustern. Seine Augen hatten sich an das graue Zwielicht im Raum gewöhnt, aber allzu viel gab es trotzdem nicht zu sehen. Alles war schmutzig und alt, viel älter als die zwanzig oder dreißig Jahre, von denen Sharif gesprochen hatte. Vielleicht täuschten ihn ja seine Erinnerungen.
»Nichts also« ‚sagte er. Fast hätte er Sharif gesagt, dass nichts in Ordnung war und Muridas größte Prüfung sogar noch bevorstand. Aber dann musste er wieder an den Ausdruck von Zärtlichkeit und Sorge denken, den er vorhin in seinen Augen gelesen hatte, und brachte es nicht übersieh. Wie konnte er einem Vater sagen, dass er seine Tochter vielleicht töten musste?
»Ich werde dir nicht alle meine Geheimnisse verraten«, sagte er. »Nicht dem Machdi und schon gar nicht dem Hauptmann der Janitscharen.«
»Den Hauptmann der Janitscharen gibt es nicht mehr«, antwortete Sharif. »Die Machdiji haben ihn zusammen mit seinen Männern getötet, fürchte ich. Und den Machdi hat es nie gegeben. Aber vielleicht will ja der Vater wissen, welches Schicksal seine Tochter erwartet.« »Diese Frage hätte er sich eher stellen sollen«, antwortete Andrej ärgerlich. »Vielleicht bevor er seine eigene Tochter benutzt hat, um …« Er zögerte, sah Sharif durchdringend an und fragte dann mit veränderter Stimme: »Wozu eigentlich?«
»Du glaubst nicht wirklich, dass ich sie beauftragt habe, die Machdiji auszuspionieren!«, empörte sich Sharif. »Das hätte ich niemals zugelassen! Wirf mir vor, dass ich zu blind war, nicht zu sehen, wie sehr sie ihren Vater beeindrucken wollte, aber nicht das!« »Natürlich nicht«, antwortete Andrej betreten. »Verzeih! Und ich werfe dir nichts vor.«
»Aber du hättest jedes Recht dazu. Dieses dumme Kind wollte mich beeindrucken. Den Hauptmann der Janitscharen, nicht den Machdi. Ich habe es nicht gemerkt. So wenig wie ich gemerkt habe, dass sie den Worten des Machdi tatsächlich erlegen ist. Als ich es begriffen habe, war es viel zu spät. Wirf mir das vor, wenn du willst, aber nicht, dass ich sie bewusst in Gefahr gebracht hätte!«
Andrej hätte ihm gerne zugestimmt, doch er schwieg. Sharif wusste so gut wie er, dass er seine Tochter im gleichen Moment in Gefahr gebracht hatte, als er sie mit einer von Süleymans Frauen gezeugt hatte. Er schwieg.
»Sie wird ewig leben, habe ich recht?«, fragte Sharif plötzlich.
Andrej schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Aber sehr lange.«
Wenn er sie nicht vorher tötete.
»Mehrwollte ich nicht hören«, sagte Sharif. Erwies zur Tür. »Bitte geh und hol ein wenig Wasser, und in den Satteltaschen ist Brot. Wir bleiben hier, bis die Sonne untergeht, und sollten uns stärken.«
Andrej erhob sich zwar gehorsam und wandte sich zur Tür, blieb aber dann noch einmal stehen und sah zu Sharif zurück. »Und dann?«
»Setzen wir unseren Weg fort«, antwortete Sharif. »Es ist ein gutes Stück bis Karthoum, aber wenn wir nachts reiten und vorsichtig sind, können wir es schaffen.«
»Karthoum«, wiederholte Andrej nachdenklich. »Und was willst du dort?«
Sharif sah einen Atemzug lang zu seiner schlafenden Tochter hin, bevor er antwortete. »Wir werden sehen, wie es dort ist und wer gerade das Sagen hat. Je nachdem entscheiden wir, wer dort ankommt, der Hauptmann der Janitscharen mit einem Gefangenen oder der Machdi.«
Andrej verstand, was er meinte, und musste zugeben, dass es ein guter Plan war vermutlich das Einzige, was sie überhaupt tun konnten –, aber er schüttelte trotzdem den Kopf. »Ich werde dich nicht begleiten«, sagte er.
»Ich muss Abu Dun suchen.« »Ich glaube nicht, dass er noch lebt«, sagte Sharif ernst. »Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, waren die Machdiji gerade dabei, unsere Stellung zu
Weitere Kostenlose Bücher