Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
lächelte. »Da siehst du, was dein schlechter Einfluss anrichtet, Andrej. Selbst meine Tochter hört sich schon an wie einer von euren Pfaffen.«
Er trank einen weiteren und größeren Schluck Wein und stellte den Becher dann mit einer gezierten Bewegung auf das Tischchen zurück. »Aber du hast natürlich recht, Murida«, sagte er. »Solche Bemerkungen geziemen sich nicht. Bitte verzeih!« Erstreckte die Hand aus. »Komm zu mir, meine Tochter!«
Murida reagierte nicht sofort, und auch, als sie sich schließlich von ihrem Lumpenlager erhob und zu ihm ging, geschah es eindeutig widerwillig. Sie gehorchte, weil sie es musste. Nicht, weil sie es wollte. Zögernd und so weit von ihrem Vater entfernt, wie es auf dem großen Diwan überhaupt möglich war, wollte sie sich setzen, doch Süleyman winkte sie mit einer herrischen Bewegung näher heran und legte ihr den Arm um die Schulter. Murida schauderte.
»Und um deine Neugier zu befriedigen, Ungläubiger«, fuhr Süleyman fort, »mein treuer Diener Kadar wird selbstverständlich so fürstlich entlohnt, wie es ihm zukommt, und er wird auch noch weiter zuverlässig meinen Platz einnehmen, solange der Sultan … anderweitig beschäftigt ist.«
»Dann hat es auch nie einen Hauptmann Sharif gegeben«, vermutete Andrej.
Süleyman schüttelte heftig den Kopf. »Selbstverständlich hat es ihn gegeben«, antwortete er. »Für seine Janitscharen und alle Feinde des Sultans war er sehr real, glaub mir … und für deinen Freund und dich doch auch, oder?«
»Warum diese ganze Scharade?«, fragte Andrej. Er sah immer noch Murida an. »Nur um deine Untertanen auszuspionieren?«
Süleymans Reaktion bestand in einem amüsierten Nicken, aber auch einem kurzen Aufflammen mörderischer Wut in seinen dunklen Augen, das jedoch beinahe sofort wieder verschwand. Andrej gemahnte sich dennoch – und nicht zum ersten Mal – zur Vorsicht. Er hatte Sharif als einen Mann von schon fast unmenschlicher Selbstbeherrschung kennengelernt, doch vor ihm saß nicht mehr Sharif, sondern Sultan Süleyman der Zweite, und erfragte sich allen Ernstes, ob er vielleicht mehr als nur seine Kleidung gewechselt hatte. Es war, als hätte Sharif zusammen mit seinem schwarzen Mantel auch einen Teil seiner Persönlichkeit abgelegt und gegen etwas anderes und viel Unberechenbareres getauscht.
»Hauptmann Sharif und seine gefürchteten Janitscharen werden von diesem Feldzug nicht zurückkehren, fürchte ich.
Ein schlimmer Verlust für den Sultan, denn immerhin war er einer seiner treuesten Männer … auch wenn sein unnötig brutales Vorgehen wohl dazu führen wird, dass sich noch mehr Verräter ganz offen um den Machdi scharen werden.
Aber ihr Opfer war nicht umsonst. Ich werde ihn in ehrenvoller Erinnerung behalten.«
Andrej ignorierte ihn. Er sah weiter Murida an. »Und du?«, fragte er. »War das alles hier von Anfang an –?«
»Ich habe dir schon einmal gesagt, dass sie keine Schuld trifft«, fiel ihm Süleyman ins Wort. »Sie ist eine gehorsame Tochter, die das tut, was ihr Vater von ihr verlangt, aber das ist auch schon alles, was du ihr vorwerfen kannst! Noch eine solche Unverschämtheit, und ich lasse dir die Zunge herausreißen!«
»Dann erklär es mir«, sagte Andrej. Er war nicht wirklich beunruhigt. Wenn Süleyman seinen Tod gewollt hätte, dann würden sie dieses Gespräch jetzt schon nicht mehr führen.
Die Frage war vielleicht eher, ob es ihn nicht beunruhigen sollte, dass er noch am Leben war.
»Den Machdi?« Süleyman zuckte so heftig mit den Schultern, dass er etwas von seinem Wein verschüttete.
Das meiste landete auf dem schmutzigen Boden oder besudelte sein kostbares Gewand, aber einige Tropfen liefen über seinen Handrücken und zogen eine dünne blutfarbene Spur. »Es ist nicht ganz so, wie Sharif es dir gesagt hat, fürchte ich. Ich würde gerne für mich in Anspruch nehmen, den Machdi erfunden zu haben, aber das wäre nicht die Wahrheit.«
»Dann hat es ihn also wirklich gegeben, und du hast ihn umgebracht«, vermutete Andrej. »Mein treuer Freund Sharif hat ihn aufgespürt, schon vor Jahren«, antwortete Süleyman heiter. Behutsam stellte er den Pokal ab, betrachtete stirnrunzelnd die rote Spur auf seiner Hand und wollte sie wegwischen, doch Murida kam ihm zuvor, indem sie rasch nach seinem Arm griff und seine Hand mit einem Zipfel ihres eigenen Gewandes behutsam zu säubern begann. Andrej gefiel nicht, was sie tat. Und wie sie es tat. »Er war ein Dummkopf. Ein kluger Mann,
Weitere Kostenlose Bücher