Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
der um die Macht der Worte wusste und sie auch zu nutzen verstand, aber zugleich auch ein Dummkopf. Eine Kombination, die man öfter antrifft, als man meinen möchte. Es ist Sharif nicht wirklich schwergefallen, ihn aufzuspüren.«
Andrej hörte zwar aufmerksam zu, beobachtete zugleich aber auch das Mädchen. Sie hielt Süleymans Hand noch immer fest, obwohl sie sie längst gereinigt hatte, und da … war etwas in ihren Augen. Etwas Düsteres und Verlangendes. Er hatte darum gefleht, es nicht zu sehen, aber nun war es da.
»Er und seine Mitverschwörer wurden getötet, wie es Verrätern zusteht«, fuhr Süleyman fort. »Doch wie sich zeigte, war er tatsächlich ein sehr kluger Mann. Und vorsichtig. Kaum jemand wusste, wer er wirklich war, aber die Legende des geheimnisvollen Machdi, der gekommen war, um den Tyrannen zu stürzen, war bereits geboren.« Er seufzte, zog seine Hand zurück und wirkte irritiert, als er sie fast gewaltsam losreißen musste. Vielleicht hatte er auch etwas in Muridas Augen gesehen, was ihn erschreckte. »Manchmal frage ich mich, was wohl aus ihm geworden wäre, hätte Sharif ihn damals nicht ausfindig gemacht.«
»Also hast du seine Rolle angenommen.« Andrej fragte sich, in wie viele verschiedene Verkleidungen er wohl schon geschlüpft war und wie viele Leben er zerstört hatte, nur weil ihm danach war.
»In aller Bescheidenheit glaube ich, dass es wohl einer meiner brillantesten Schachzüge war«, bestätigte Süleyman. »Warum nach meinen Feinden suchen, wenn ich sie zu mir kommen lassen kann? Der bedauernswerte Sharif wird wohl nie wieder zurückkehren, aber ich nehme an, dass er seinem Sultan umfangreiche Aufzeichnungen hinterlassen hat, in denen er die Namen der allermeisten Verräter finden wird …« »Damit du sie auch noch umbringen kannst?« Zorn flammte in Süleymans Augen auf. Er beherrschte sich, aber es kostete ihn sichtlich mehr Mühe. »Krieg ist immer eine hässliche Sache«, antwortete er. »Gleich, ob ein Volk nun gegen ein anderes um seine Freiheit kämpft oder aufgehetzt wurde, um sich gegen seinen eigenen Herrn zu erheben.«
Noch dazu, wenn es von genau diesem Herrn selbst gegen ihn aufgehetzt wurde, dachte Andrej. Doch so monströs diese Vorstellung auch sein mochte, musste er doch zugeben, dass Süleymans Plan vermutlich aufgehen würde.
Er hatte es mit eigenen Augen gesehen. Indem er selbst in die Rolle seines größten Feindes schlüpfte, sammelte er nicht nur seine wahren Feinde um sich, sondern brachte sie auch dazu, ihm ihre größten Geheimnisse anzuvertrauen und sich und ihre Familien selbst ans Messer zu liefern.
Was Abu Dun und er in Konstantinopel erlebt hatten, war nichts gegen das, was kommen würde, sobald Süleyman zurück war und wieder selbst auf seinem Thron saß. Die Stadt würde in einem Meer von Blut ertrinken und danach vielleicht das ganze Land. Und wenn Sharifs monströser Plan aufging, vielleicht die ganze Welt.
Und es sah nicht so aus, als stünde es noch in seiner Macht, irgendetwas dagegen zu tun.
»Warum erzählst du mir das alles, Sultan?«, fragte er.
»Willst du mich noch ein bisschen verspotten, bevor du mich umbringen lässt?«
»Umbringen?« Süleyman blinzelte. Er sah ehrlich Überraschtaus. »Aber wie kommst du denn auf den Gedanken, dass ich dich umbringen will?«
»Gar nicht«, antwortete Andrej. »Ich hätte eher damit gerechnet, dass du das einem deiner Männer überlässt.«
»Deine Zunge ist fast so scharf wie dein Schwert«, sagte Süleyman anerkennend, »aber das habe ich schon gewusst, bevor ich dich und deinen nubischen Freund kennengelernt habe.«
Er stand auf, wobei er Muridas Hände fast gewaltsam abstreifen musste. »Ganz im Gegenteil, Andrej. Auch wenn es im Moment vielleicht nicht den Anschein haben mag, hoffe ich immer noch, dass ich deine Freundschaft erringen kann.«
»Ich nehme an, du wirst mir ein Angebot machen, das ich nicht ausschlagen kann«, sagte Andrej. »Lasst mich raten: Ich werde schmerzlos getötet statt bei lebendigem Leibe verbrannt?«
Dieses Mal gelang es ihm nicht, Süleyman aus der Reserve zu locken. Er nahm nur einen weiteren Schluck Wein, strich seiner Tochter flüchtig über den Kopf und runzelte die Stirn, als sie vor seiner Berührung zurückschrak. Erging jedoch mit keinem Wort da rauf ein, sondern bedeutete einem Mann hinter Andrej, ihn auf die Füße zu zerren – eine Aufforderung, der er mit ebenso großer Begeisterung wie mangelndem Zartgefühl nachkam. »Ich möchte
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