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Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi

Titel: Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Zeit war, zu der die Gefangenen ihr Essen bekamen (falls man ihnen etwas zu essen gab) oder sie einfach jeder Unterbrechung dieser Hölle aus Einsamkeit und Stille entgegen gierten, auch wenn sie zweifellos nichts Gutes bedeuten konnte. Aus irgendeinem Grund ließ ihn hier unten sein normalerweise untrügliches Zeitgefühl im Stich, aber es konnten kaum mehr als zwei Stunden vergangen sein, seit sie Abu Dun und ihn hierherunter gebracht hatten. Und trotzdem hatte er sich bereits bei der Vorstellung ertappt, einfach das Gitter herauszureißen und mit dem bulligen Wärter vor der Tür etwas zu machen, was zweifellos den Beifall aller anderen Gefangenen in den steinernen Zellen finden würde.
    Schritte näherten sich, und eine Zeit lang hörte er nur hektische Geräusche: das Klirren von Metall und das Rascheln von Stoff, vielleicht so etwas wie einen kurzen Ringkampf, der von einem anhaltenden Schnauben und Grunzen begleitet und vom typischen hellen Klatschen eines Schlages beendet wurde.
    Andrej trat von den rostigen Gitterstäben zurück, als eine untersetzte Gestalt auf der anderen Seite auftauchte und einen Schlüssel hob. Untersetzt war vielleicht nicht das richtige Wort. Der Mann war fast so groß wie Andrej selbst, doch so unglaublich fett, wie er es selten gesehen hatte. Schon ein einziger Blick in seine Augen hatte Andrej klargemacht, dass er seinen Beruf liebte – und ganz besonders das Quälen und Erniedrigen der Gefangenen.
    »Komm raus, Christenhund«, fuhr er ihn an. »Und tu mir den Gefallen und wehr dich, damit ich einen Grund habe, dich zu schlagen.«
    Andrej tat ihm den Gefallen nicht, aber der Mann brauchte auch keinen Grund. Als Andrej mit gesenktem Kopf und mutlos hängenden Schultern an ihm vorbei aus der Zelle trat, versetzte er ihm einen Schlag mit der kurzstieligen Peitsche, die er in der anderen Hand trug. Andrej sog scharf die Luft durch die Nase ein. Der Mann wusste es nicht besser. Für ihn und alle anderen Wächter waren Abu Dun und er ganz normale Gefangene, und das musste natürlich auch so sein … aber Andrej dachte trotzdem einen Moment lang darüber nach, irgendwann noch einmal zurückzukommen, um sich in Ruhe mit dem Fettwanst zu unterhalten.
    Anscheinend hatte er nicht laut genug gestöhnt, denn dem ersten Hieb folgte ein zweiter und härterer, der ihn auf die Knie fallen ließ. Seine Hände wurden gepackt und brutal auf den Rücken gedreht, dann schlössen sich eiserne Ringe um seine Handgelenke, und er wurde genauso brutal wieder in die Höhe gezerrt.
    »Rühr dich nicht, Ungläubiger!«, sagte der Wächter. »Oder du erlebst nicht einmal mehr deine eigene Hinrichtung.«
    »Hinrichtung?«, stöhnte Andrej. »Wieso Hinrichtung? Man hat mir gesagt, dass ich vor Gericht gestellt und –« Ein brutaler Schlag mit dem Handrücken über den Mund ließ ihn verstummen. Seine Unterlippe platzte auf, er schmeckte Blut.
    »Ich habe dir nicht erlaubt zu sprechen, Christenhund«, sagte der Fettwanst. »Aber ich bin heute großzügig gestimmt, also werde ich dir deine Frage beantworten. Dein Prozess war schon, und der Richter hat das Urteil gesprochen. Du wirst von hier zum Richtplatz gebracht und geköpft, und nur kurz darauf wirst du die schlimmste Überraschung deines Lebens erfahren, wenn du nämlich erwartest, vor deinen Christengott zu treten, und dich Allah gegenübersiehst.«
    »Und ich dachte, es wäre derselbe«, sagte Andrej – was ihm einen weiteren Schlag ins Gesicht einbrachte, diesmal mit der Faust und viel härter. Benommen taumelte er gegen die Wand. Mehr Blut füllte seinen Mund, und tief in ihm regte sich etwas. Etwas Düsteres und Verzehrendes, das er auf keinen Fall zulassen durfte. Noch nicht.
    Es dauerte einen Moment, bis sich die roten Schleier vor seinen Augen wieder lichteten, und das Erste, das er sah, war die Faust des fetten Wächters, die nach seinem Gesicht zielte. Andrej spannte sich in Erwartung des kommenden Schlages, doch dann ließ er den Arm wieder sinken und schüttelte nur den Kopf.
    »Oh nein« sagte er. »Den Gefallen tue ich dir nicht, das überlasse ich dem Scharfrichter. Man sagt, dass manche von ihnen nicht besonders geschickt sind, sodass sie zwei oder sogar dreimal zuschlagen müssen. Freu dich schon einmal darauf, Ungläubiger.«
    Andrej wurde gepackt und herumgewirbelt, dann traf ihn ein derber Stoß zwischen die Schulterblätter, der ihn um ein Haarwiederauf die Knie geworfen hätte. Mehr stolpernd als gehend und von einem Chor schriller

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