Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
uns zu halten scheinen, dann wärst du jetzt tot, und Sultan Süleyman morgen früh ein glücklicher Mann.«
Prompt rückten die beiden anderen Männer etwas dichter an Abu Dun heran, was den Nubier zwar nicht sonderlich beeindruckte, den Schwerpunkt des kleinen Bootes aber genug verlagerte, um es erneut in ein schon fast bedrohliches Schaukeln zu bringen. »Ich bin gewiss nicht der Wundertäter, für den manche mich halten«, sagte der Machdi, »und auch meine magischen Kräfte halten sich in Grenzen. Aber einer Fähigkeit kann ich mich doch rühmen. Ich muss einen Mann nur anschauen, und ich sehe in sein Herz. Ich vermag nicht deine Gedanken zu lesen, so wenig wie die irgendeines anderen, aber ich sehe sehr wohl, ob ich einen aufrechten Mann vor mir habe oder einen Lügner.« »Und was siehst du in mir?«, fragte Abu Dun grinsend. »Dass du ein Mann bist, den große Geheimnisse umgeben. Und du bist ganz und gar nicht der, der zu sein du vorgibst-genau wie dein Freund. Aber ihr seid auch aufrechte Männer, die niemals etwas tun würden, was gegen ihr Gewissen verstößt … oder gegen ihre Überzeugung, wenn euch das Wort lieber ist.« Erwartete einen Moment lang auf eine Erwiderung und schloss dann mit einem Nicken, als wäre ihm das Schweigen schon genug.
Genau wie der Machdi es ihnen gesagt hatte, dauerte die Fahrt nicht besonders lange. Weniger als eine halbe Stunde später brachte ihr schweigsamer Kapitän sie wieder an Land, ein gutes Stück entfernt vom Hafen, in der Nähe einiger ärmlicher Fischerhütten, zu denen eine Handvoll ebenso ärmlicher Boote gehörte, die ein Stück weit vom Ufer entfernt aneinander gebunden im Wasser dümpelten.
Der Rumpf der Dau war nicht flach genug, dass sie trockenen Fußes an Land kommen konnten, abgesehen von Murida, die Abu Dun sich kurzerhand über die Schulter warf, ohne auf ihren lautstarken Protest zu achten. Der Machdi wartete, bis Abu Dun das Mädchen abgesetzt und es sich mit zwei empörten Schritten an seine Seite geflüchtet hatte und deutete dann auf die Hütte, die ihnen am nächsten lag. Sie war dunkel und machte einen fast verlassenen Eindruck, aber Andrej spürte die misstrauischen Blicke aus vielen Augenpaaren, die sie aus den umliegenden Häusern beobachteten. Gerade als der Machdi die Hand heben und anklopfen wollte, wurde die Tür geöffnet.
Eine gebeugte Gestalt, kaum mehr als bewegliche Schwärze vor dem Hintergrund des dunklen Zimmers, sah kurz zu ihnen heraus, fuhr erschrocken zusammen und öffnete die Tür dann hastig ganz. Etwas stimmte nicht mit ihrem Gesicht, aber Andrej konnte nicht sagen, was. Die Tür war so niedrig, dass sich alle außer Murida unter dem Balken hindurch bücken mussten, und der Raum dahinter vollkommen dunkel. Selbst das wenige Mondlicht, das sich zusammen mit ihnen hereinzumogeln versuchte, wurde ausgesperrt, als ihr Gastgeber die Tür hinter ihnen schloss, und für einige endlos scheinende Momente hüllte sie völlige Finsternis ein. Andrejs scharfe Sinne verrieten ihm trotzdem fast mehr über seine Umgebung, als er wissen wollte. Es roch schlecht, nach alten Menschen, Fisch und verdorbenen Lebensmitteln und Krankheit. Ihr Gastgeber hantierte eine Weile geräuschvoll in der Dunkelheit herum, dann erhellte das Flackern einer einzelnen Öllampe den Raum, und Andrej sah seine erste Einschätzung bestätigt. Das Innere der vermeintlichen Fischerhütte war nur ein einziger, niedriger Raum. Die ärmliche Einrichtung bestand aus einem schmalen Bett, auf dem etwas lag, das streng genommen nicht einmal mehr die Bezeichnung Lumpen verdiente, einer wurmstichigen Truhe und einem kleinen Tisch mit nur zwei Schemeln. An der Wand über dem Bett hing ein zerrissenes Fischernetz, daneben ein hölzernes Bord mit einem Tonkrug und bescheidenem Essgeschirr, doch der Ofen, der das Essenerwärmen sollte, war schon seit Wochen nicht mehr benutzt worden, wie ihm seine feinen Sinne verrieten. Und sie verrieten ihm auch noch mehr. In diesem Raum war Blut vergossen worden, und es war noch nicht allzu lange her.
Die Gestalt, die sie hereingelassen und die Lampe angezündet hatte, drehte sich zu ihnen herum, und Murida schnappte nach Luft. Auch Andrej konnte nur mit Mühe einen Laut des Erschreckens unterdrücken, als er ihr Gesicht sah. Die Frau war noch ein gutes Stück älter als die, die ihnen am Morgen geholfen hatte, und noch deutlich gebrechlicher. Ihr Gesicht musste vor sehr vielen Jahren einmal schön gewesen sein, war jetzt aber von
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