Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Falten und Verbitterung gezeichnet, und wo ihre Augen sein sollten, da erblickte Andrej nur einen zwei Finger breiten Streifen aus dunklem Narbengewebe.
»Das ist Nadil«, sagte der Machdi. Erstreckte die Hand aus, und obwohl die alte Frau sie nicht sehen konnte, griff sie doch zielsicher danach und berührte seine beringten Finger mit den Lippen.
»Sie ist blind!«, flüsterte Murida erschüttert. »Was … was ist mit ihr geschehen? Wer hat ihr das angetan?«
»Ihr Sohn gehörte zu meinen Anhängern«, antwortete der Machdi. »Sharif hat ihn hinrichten und seine gesamte Familie blenden lassen, um ein Exempel zu statuieren.« Er legte die linke Hand auf die Schulter der alten Frau. »Ich habe Gäste mitgebracht, Nadil. Das ist Andrej. Der Mann, der Sharif getötet hat.«
»Ein Ungläubiger«, fügte Hadschi hinzu.
Obwohl Andrej bis jetzt noch keinen Laut von sich gegeben hatte, drehte die alte Frau das Gesicht so genau in seine Richtung, als hätte sie noch Augen. »Und wenn er der Schejtan persönlich wäre, würde ich ihm die Füße küssen«, sagte sie. »Das hast du gut gemacht. Ich hoffe, es ist nicht zu schnell gegangen.«
»Ganz und gar nicht«, sagte Abu Dun.
Nadils verheertes Gesicht war ihm noch immer zugewandt.
»Schade, dass ich nicht dabei war und keine Augen mehr habe, mit denen ich es hätte sehen können.«
»Nadil wird uns führen«, sagte der Machdi.
»Nur, falls es außer mir niemandem hier aufgefallen ist«, sagte Abu Dun in das überraschte Schweigen hinein, das dieser Eröffnung folgte, »aber sie ist blind.«
»Ich brauche keine Augen, um zu sehen«, sagte die alte Frau, und der vernarbte Streifen über ihren Augen richtete sich nun auf Abu Dun. »So wenig wie du, schwarzer Mann.«
»Schwarzer Mann?« Abu Dun machte ein verblüfftes Gesicht, und der Machdi lächelte knapp, ging aber nicht weiterauf diese Bemerkung ein und wandte sich wieder direkt an Nadil.
»Erzähl unseren Gästen, was sie dir angetan haben«, sagte er, »und warum.«
»Weil der Sultan ein schlechter Mensch ist«, antwortete die blinde Greisin, »vielleicht der Schlimmste von allen. Er sagt, dass er die Ungläubigen im Namen Allahs bekämpft, um den wahren Glauben in der ganzen Welt zu verbreiten, aber das ist eine Lüge. Ihm geht es nur um Macht und darum, seine Schatzkammern zu füllen! Ich hatte drei Söhne, eine Tochter und einen Mann, und er hat sie mir alle genommen!«
»Weil sie Anhänger des Machdi waren«, vermutete Abu Dun.
»Zwei meiner Söhne hat er zum Dienst in seiner verfluchten Armee erpresst«, antwortete Nadil, »und beide sind in einer Schlacht um eine Stadt gefallen, deren Namen ich nicht einmal aussprechen kann. Das wenige, was mein Mann und mein jüngster Sohn mit ihrer Hände Arbeit noch verdienen konnten, haben sie uns weggenommen, um ihren verdammten Krieg zu bezahlen, und als mein Sohn sich bei den Steuereintreibern beschwert hat, da haben sie ihn weggebracht und ihm den Kopf abgeschlagen! Am nächsten Tag sind Sharifs Folterknechte gekommen und haben uns alle geblendet, meine Tochter, mich und meinen Mann und seine beiden Brüder. Meine Tochter hat sich das Leben genommen, und mein Mann ist an den Wunden gestorben, die sie ihm zugefügt haben. Seither leben meine Schwäger und ich von dem, was uns die schenken, die selbst kaum genug zum Leben haben. Das hat dieser verfluchte Hund Süleyman uns angetan!« Andrej war erschüttert, wenngleich nicht von dem, was er gehört hatte. Er hatte ungleich größere Grausamkeiten mit angesehen und von noch hundertmal schlimmeren Dingen gehört, und doch rührten ihn die Worte der alten Frau auf eine sonderbare Art an. Natürlich war da Hass in ihrer Stimme und Bitterkeit, aber auch noch etwas, das weit darüber hinausging, und das er erst wirklich verstand, als sie weitersprach.
»Der Machdi wird diesen Tyrannen stürzen! Er wird diesen Krieg beenden, den keiner hier will! Das Blutvergießen wird enden, das weiß ich, denn Allah steht auf seiner Seite!«
»Und Andrej und sein Freund werden uns dabei helfen«, sagte der Machdi. »Wir würden gerne eine Weile hier bei dir bleiben und deine Gastfreundschaft genießen, Nadil.« »Ich fühle mich geehrt«, antwortete sie, »aber ich kann euch nicht –«
»Es ist nicht nötig, uns zu bewirten«, unterbrach sie der Machdi sanft. »Ein Dach über dem Kopf und ein Platz, an dem wir willkommen sind, ist schon mehr, als wir sonst in dieser Stadt erwarten können.«
Erneut griff Nadil mit dieser schon
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