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Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi

Titel: Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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»Nadil wird uns unbemerkt hineinbringen!«
    »Ist die Tür da nicht groß genug?«, fragte Abu Dun. »Sogar groß genug für einen ganz in Schwarzgekleideten Riesen, auf dessen Kopf der Sultan einen hohen Preis ausgesetzt hat«, bestätigte der Machdi, schüttelte dann aber auch heftig den Kopf. »Es ist besser, wenn uns niemand sieht. Nicht einmal Süleymans Hybris ist so groß, dass er es wagen würde, den Frieden dieses Ortes zu brechen, aber es bringt keinen Vorteil, ein unnötiges Risiko einzugehen.«
    Er berührte die alte Frau flüchtig am Arm, woraufhin sie sich umdrehte und schwer auf ihren Stock gestützt, aber erstaunlich behände und flink losging. Andrejs Herz begann schneller zu schlagen, und er fühlte sich mit jedem Schritt ein bisschen unwohler. Immer heftiger musste er sich der absurden Vorstellung erwehren, aus tausend unsichtbaren Augenpaaren angestarrt zu werden. Die schlanken Minarette, die ihm vor einem Moment noch so erhaben vorgekommen waren, hatten sich plötzlich in finstere Wachtürme verwandelt, die argwöhnisch jeden beäugten, der ihnen zu nahe kam, und auf magische Weise jede Verkleidung durchschauen mussten. Sie näherten sich jedoch nicht dem Tor, sondern schlugen einen weiten Bogen nach Osten ein. Trotz ihrer Blindheit führte Nadil sie mit traumwandlerischer Sicherheit durch das Labyrinth der Gärten und stolperte nur ein einziges Mal über einen tief hängenden Zweig, der sich aus dem Arrangement neben dem Weg gelöst hatte, fand ihr Gleichgewicht aber aus eigener Kraft wieder, noch bevor der Machdi ihr helfen konnte. Andrej atmete erleichtert auf, als die alte Frau endlich vom Weg abwich und sie zu einem schmalen Seiteneingang führte, der so gut verborgen war, dass ihn vermutlich ohnehin nur ein Blinder finden konnte. »Ab jetzt dürft ihr nicht mehr reden«, sagte sie, obwohl auf dem ganzen Weg niemand ein Wort gesagt hatte. »Und gebt acht.«
    »Worauf?«, fragte Abu Dun, während er ihr als Erster in die Dunkelheit folgte, die hinter der Tür auf sie wartete. Dann erschollen ein dumpfer Knall und ein nicht annähernd so gedämpfter Fluch in seiner Muttersprache. »Darauf«, sagte Nadil.
    Selbst Andrej musste ein Grinsen unterdrücken. Schon im nächsten Moment wurde ihm jedoch der Grund für Abu Duns vermeintliches Ungeschick klar. Die Tür wurde geschlossen, und tiefste Finsternis umgab sie. Jemand keuchte erschrocken auf, er nahm an, dass es Murida war –, und selbst er brauchte einen Moment, um sich an die vollkommene Abwesenheit von Licht zu gewöhnen und sich ganz auf die Eindrücke zu konzentrieren, die ihm seine anderen Sinne vermittelten.
    Sie befanden sich in einem schmalen, aber sehr langen Raum, vermutlich einem Gang, dessen Wände mit Teppichen oder anderem schallschluckenden Material behangen waren. Muridas Herz schlug am schnellsten von allen und wollte sich einfach nicht beruhigen, doch auch die anderen waren nicht frei von Angst. Dabei sollte die Moschee doch eigentlich ein Ort des Friedens und der Versöhnung sein.
    Am schnellen, regelmäßigen Klacken ihres Stockes erkannte er, dass Nadil ihnen vorauseilte. Sie öffnete eine Tür, die in einen Raum führte, der von einer einzelnen Öllampe erhellt wurde, darüber hinaus aber bis auf ein paar Kissen und zwei kleine Teppiche vollkommen leer war. Vielleicht ein Gebetsraum oder eine Kontemplationskammer … oder vielleicht auch einfach nur ein leerer Raum.
    »Wohin bringst du uns?«, fragte Abu Dun, nachdem sie die fünfte oder sechste, ebenfalls leere Kammer durchquert hatten, die sich von denen davor nur insofern unterschied, dass an ihren Wänden etliche in Gold gerahmte Bilder hingen, die schon lange verstorbene Heilige oder auch Wundertäter zeigten. »Gedulde dich noch einen Moment«, sagte der Machdi.
    »Wir sind gleich da.«
    Noch einmal drei Räume später blieb ihre blinde Führerin vor einer letzten Tür stehen, machte eine komplizierte Geste, deren Bedeutung wahrscheinlich nur der Machdi verstand, und ging dann ohne ein weiteres Wort. Der Machdi legte die Hand auf den Griff der mit reichen Schnitzereien verzierten Tür, wartete aber, bis das Klacken des Stockes verklungen war, und wandte sich dann mit einem ernsten Blick an Murida. »Schlag deine Kapuze hoch, mein Kind«, sagte er, »und geh mit gesenktem Blick. Frauen ist das Betreten dieses Teils der Moschee nicht gestattet.«
    »Es ist mitten in der Nacht«, wandte Abu Dun ein, bekam aber nur ein angedeutetes Kopfschütteln zur Antwort, dann

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