Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Ölmühle. Doch die Bäume waren geplündert worden, bis sie sich schließlich geweigert hatten, noch Frucht anzusetzen, und man hatte sie vor einigen Jahren gefällt. Die Mühle hockte verlassen da. Die Häuser waren verfallen. Alt. Männer mit steinernen Augen und mürrische Frauen blickten ihr nach, als sie vorbeiging, und die verlotterten und zerlumpten Kinder in den Rinnsteinen hockten stumpf da und riefen sie nicht an. Eine Ziege wanderte ohne Strick völlig ungehindert über die Straße.
Paxes Schritte schienen in der rissedurchzogenen, trockenen Straße zu widerhallen, und über allem hing der schwere süßliche Duft von Himmelskraut. In einigen wenigen Gärten sproßte Mais, doch die meisten waren ausgetrocknet, die wenigen Pflanzen sahen dürr und leblos aus. Es war keine gute Gegend für einen Fremden. Paxe überlegte sich, was wohl geschehen wäre, wenn die Chobabäume weiter Frucht getragen hätten. Aber es gab in der ganzen Stadt nur noch wenige fruchtbare Chobabäume; man hatte fast alle abgeschlagen, um Platz für neue Häuser zu schaffen. Das Chobaöl importierte man jetzt aus den Shirasai-Plantagen. Zerfetzte Wimpel kennzeichneten leerstehende Gebäude, in denen früher einmal gutgehende Läden gewesen waren. Die Banner flappten schlaff über Paxes Kopf. Dürre Katzen stöberten in Haufen von Unrat. Die trostlose Verödung machte sie traurig, und sie sagte sich, daß jeder Stadtbezirk seine eigene Ölstraße habe. Die in ihrem eigenen Reich war nicht schlimmer als die meisten anderen.
Sie kam von der Rückseite zum Waffenhof zurück. Während sie um den hohen roten Zaun bog, roch sie Himmelskraut. Ein paar von den Soldaten auf Freiwache hatten geraucht, vermutete sie. Sie hoffte, daß es die Freiwache sein möge, nicht die im Dienst. Sie hatte ihren Leuten nachdrücklich verboten, im Dienst zu rauchen oder zu trinken. Der Hof klang leer, man hörte nicht die üblichen Rufe und das Grunzen der Leute beim Training.
Leise wanderte sie zum Eingang. Der Wächter war nicht auf seinem Posten. Sie zog die Augenbrauen zusammen. Doch der Waffenhof war schließlich nicht leer: eine kleine Menschengruppe stand in der einen Ecke, wo die Zaunpfosten aufeinanderstießen. Sie konnte nicht sehen, was da vor sich ging; die Leute schienen etwas zu betrachten. Und Evrith, die Wache am Tor, stand auch dabei.
Sie spürte, wie der Ärger in ihr hochstieg. Die Leute rauchen Himmelskraut im Waffenhof, dachte sie, ich werde ihnen die Haut in Streifen vom Leib peitschen lassen! Sie trat durch das Tor. Plötzlich machte einer – es war Seth – einen Schritt zur Seite und hob beide Hände in die Luft. Paxe erkannte, was die Leute sich angesehen hatten, und ihre Muskeln verkrampften sich plötzlich: die Leute schauten auf das Sommersonnenlicht, das wie Wasser von der scharfen Schneide eines blanken Schwertes floß.
Die Wachtposten hatten sie zunächst nicht herankommen sehen. Als sie sie dann erblickten, erstarrten sie zu Stein. Sie streckte die rechte Hand aus. »Gib her!« befahl sie. Stumm legte Seth ihr den Schwertgriff in die Hand. Sie faßte mit beiden Händen zu. Der Waffengriff war aus Bronze und hatte ein dekoratives erhabenes Muster, wodurch das abgenutzte Metall fester im Griff lag.
Automatisch erinnerte sich ihr Körper an Stellung und Balance: sie schob den rechten Stiefel vor und schwang die Klinge. Sie hatte in Tors Rest von Tyré gelernt, wie man mit dem Schwert umgeht, Tyré, der in Anspruch nahm, bei Doménia trainiert zu haben, dem letzten Sproß der Linie des Van von Vanima. Sie schwang das Schwert erneut, und es sang, als es durch die Luft schnitt.
Ihre Soldaten starrten sie an, als hätten sie sie nie zuvor wirklich gesehen.
»Ah! Ihr habt nicht gewußt, daß ich damit gearbeitet habe«, sagte sie. »Wo habt ihr das her?«
Evrith setzte zur Rede an, und Seth stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Es ist meins«, sagte er. »Ich hab' es vom Sohn eines Waffenschmieds gekauft.«
»Und wo hat der es her?«
»Gemacht«, sagte Seth leichtfertig.
Paxe kniff die Augen zu und betrachtete die einschneidige Klinge. Sie war kürzer als jene, mit der Tyré sie ausgebildet hatte, aber die Waffe sah genauso alt aus.
»Wo ist das Gehänge?« fragte sie.
Seth hob es vom Boden auf. Paxe streckte die Hand danach aus, und er reichte ihr die Scheide. Sie war aus Leder – aus altem brüchigen Leder. Sie runzelte die Stirn. Das Schwert sah zu abgenutzt aus und zu gut geschmiedet, als daß es der ehrgeizige Sohn
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