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Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden

Titel: Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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rief laut, und ihre Stimme ging fast im Geräusch der Wellen unter. »Kadra!« Niemand gab Antwort. Schließlich gab sie es auf und kletterte wieder zur Straße hinauf. Sie ging wieder zu der Schenke zurück. Zwei Frauen versuchten ein Brett durch die Tür zu fädeln, und Sorren wartete, bis sie drinnen waren, und folgte ihnen dann.
    Aus der Küche dröhnten Hammerschläge. Norres stand mitten im Gastzimmer der Taverne, die Arme in die Hüften gestemmt, und erklärte den Tischlern, wenn sie noch länger brauchen würden, dann würde sie ihnen keinen Pfennig bezahlen. Die Stakkatostimme der Frau trommelte wie ein Platzregen in Sorrens Ohren. Die Schenkenwirtin sah, daß Sorren ihr zuhörte, und fuhr zu ihr herum. »Was willst du denn hier?«
    »Ich suche Kadra«, sagte Sorren. »Wir sollten uns heute eigentlich treffen, in einem Haus in der Pflaumenstraße. Aber da war sie nicht.«
    Norres funkelte sie an. Ihr Haar war kurz und wild zerzaust, und es reichte ihr kaum bis zu den Schultern. »Ich hab' keine Ahnung, wo die sich wieder rumtreibt.«
    »Wann hast du sie zuletzt gesehen?«
    »Vorgestern. Sturzbesoffen.« Und sie fuhr wieder auf die Schreiner los. »Und für das Bier, das ihr hier sauft, werdet ihr auch blechen. Glaubt ihr, ich geb euch das umsonst?«
    Sorren machte einen neuen Anlauf. »Willst du denn nicht wissen, wo sie ist?«
    »Warum sollte ich?« knurrte Norres.
    »Ich hab' gedacht ...«
    »Es ist mir scheißegal, was du gedacht hast«, fauchte die Wirtin. Sie musterte Sorren von oben bis unten. »Bist ein langer Schlacks, was?«
    »Nein«, sagte Sorren. »Ich bin kein Schlacks, ich bin nur groß. Und ich will Kadra finden. Sie ist krank. Sie liegt vielleicht krank irgendwo in einem Rinnstein hier in der Stadt ...«
    Norres' Augen saugten sich in die Sorrens. Sie hatte grüne Augen wie rauchige Jade. Leise sagte sie: »Das weiß ich. Und ich habe gelernt, es nicht zur Kenntnis zu nehmen, in all den Jahren.«
    »All den Jahren?«
    »Wir waren acht Jahre lang ein Liebespaar. Davon kannst du natürlich nichts wissen. Die sagt einem ja nie was. Acht lange Jahre – und ich hab' mir das Saufen und die Prügeleien angeschaut und gewußt, daß sie eines Tages zu mir kommen werden und zu mir sagen werden: ›Du kennst doch Kadra-no-Ilézia, diesen ghya? Du kommst besser mit zum Wachhaus, da liegt eine Leiche, die du vielleicht abholen willst.‹ Wenn einer den Tod so herbeisehnt, wie die das tut, dann kann man wenig tun, um sie davon abzuhalten. Ich hab' mein Bestes getan. Aber nach 'ner Weile, da gibt man dann ganz einfach auf.«
    Sorren hatte das Gefühl, wie wenn sie plötzlich in einen Morast gestiegen wäre. »Ich verstehe nicht, was ...«
    »Nein. Wie könntest du auch!« sagte Norres, und Sorren sah, wie sich diese unglaublichen Augen mit Tränen füllten. »Geh weg, Mädchen, geh nach Haus, wo immer dein Zuhaus ist, und geh zu deiner Geliebten und halt sie fest und sei glücklich! Hast du beim Schiff nachgeschaut?« Sorren nickte. »Ich auch. Gestern nacht. Warst du bei Tammo?«
    »Ja.«
    »Ich hab' nicht hinkönnen. Aber ich glaub, wenn die tot wäre, ich glaub ich würd's wissen.« Wütend wischte sie sich die Tränen aus den Augen. »Ai! Jetzt hast du mich zum Heulen gebracht, und dabei hab' ich mir geschworen, daß ich wegen der nicht mehr weinen will. Verschwinde hier, Mädchen! Du stehst im Weg rum.«
    Und in diesem Augenblick hörten sie die Muschelhörner blasen.
    »Aber es ist doch gar kein Nebel ...«, sagte einer der Tischler.
    »Das ist das Signal für Gefahr!« sagte Norres. »Feuer oder Flut oder Kampf.« Sie legte den Kopf schief. »Woher kommt das?«
    »Von Norden«, sagte der Schreiner.
    »Nein! Westen«, sagte der andere.
    Sorren sagte: »Ich geh wohl besser.« Und sie glitt aus der leeren Tür, im Ohr die blökenden Hörnertöne. Langsam begann sie nordwärts zu traben, durch den Jalar-Bezirk auf das Gebiet der Isara-Familie. Ein Isara-Posten lief ihr quer über den Weg; er trug eine Pike und eine Schleuder mit drei schweren Kugeln zum Werfen bei sich. Die Soldatin schrillte irgend etwas Unverständliches, als sie vorbeirannte.
    Als Sorren in die Pinienchaussee einbog, hörte sie wieder die Hörner blasen. »Hawuuuh!« heulten sie. So heulten wohl die Wölfe auf den Steppen. »Hawuuuh!« Ein Mann schlingerte mit einer Keule vorbei, in die Eisennägel geschlagen waren. Er sah Sorren, und brüllte wortlos etwas, wirbelte die behelfsmäßige Keule kreisend über dem Kopf, blieb aber nicht

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