Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
blitzend wie Quarz.
17. Kapitel
Am vierten Tag der Woche machte sich Sorren zu dem Haus in der Pflaumenstraße auf, um Kadra zu treffen.
Seitdem sie Paxe von Kadra und den Übungen im Bogenschießen berichtet hatte, fiel es ihr leichter, ganz wie üblich ihre Arbeit zu tun und aus dem Haus zu gehen. Elith murrte zwar die ganze Zeit, doch solange Sorren die Einkäufe erledigte und beim Saubermachen half, konnte sie sich eigentlich nicht beklagen. Und Arré schien keine Einwände zu haben.
Auf der Pflaumenstraße spielten die Asechkinder Fangen zwischen den Häusern und Gärten. Sorren spähte nach dem Mädchen mit den Holzklötzen, das sie beim erstenmal zu dem Ziegenstall geschickt hatte, konnte es aber nirgends entdecken. Mit ihren dunklen Augen, der braunen Haut und den schmalen Gesichtern sahen alle diese Kinder für sie gleich aus.
Kadra war nicht im Ziegenstall. Sorren suchte überall hinter dem Haus. Sie trat sogar an die Fenster und preßte das Gesicht gegen die Paravents, versuchte durch das seidengefleckte Papier zu spähen, konnte jedoch nichts entdecken. Sie rief, aber nur das helle Lachen der Kinder gab ihr Antwort. Schließlich verließ sie die Pflaumenstraße und machte sich zur Pferdekoppel auf.
Tammo schien entzückt zu sein, sie wiederzusehen. Er schlurfte sofort an die Stelle, wo er den Bogen und die Pfeile versteckt hatte, und holte sie hervor. »Nein, Tammo«, sagte Sorren. »Ich werde heut nicht schießen.« Sein Gesicht überzog sich mit Runzeln der Enttäuschung. »Tammo, hast du Kadra gesehen?« Er wedelte aufgeregt mit den Händen durch die Luft. »Wenn du sie siehst, sag ihr bitte, daß Sorren hier war und sie sucht. Sorren. Kannst du das behalten?« Der Kindmann nickte und schaufelte wieder mit den Händen durch die Luft. »Sorren«, wiederholte sie und stakte vorsichtig über die pferdemistbedeckte Weide.
Inzwischen brauchte sie sich den Weg zur Werft der Jalars nicht mehr weisen zu lassen. Sie eilte durch die Stadt, durch den Sul-Bezirk und zum »Silberfisch«. Scherben des Klappfensters an der Front blitzten auf den Pflastersteinen wie der Lapislazuli in ihrem Kamm, und die schwere Schwingtür der Kaschemme war regelrecht aus den Angeln gerissen worden. Ein Mann mit dem Werkzeug eines Schreiners maß die Rahmen aus. »Was ist passiert?« fragte sie.
Er knurrte. »Irgendein Idiot von einem Fuhrmann hat versucht durch die Gasse zu fahren und ist in das Haus reingerammt. Die Tür ist hinüber, die Fenster kaputt. Norres ist wütend wie 'ne Wespe.« Sorren konnte die Kaschemmenwirtin drinnen kreischen hören. Sie kehrte dem Scherbenhaufen den Rücken und wanderte zur Pier; sie war froh, daß sie ihre Sandalen angezogen hatte. Aus einem Hauseingang knurrte ein Hund sie an, und sie warf ein Steinchen in seine Richtung.
Die Wachtposten in ihren gelben Uniformen ließen sie lange ungestört auf der Pier stehen und das Schiff betrachten. Es sah aus, als wäre es fertig. Die Wandung schwang sich glatt und weich zum Deck herauf; das Heck war gerade, der Bug zugespitzt. Drei schlanke Masten ragten hoch in die Luft. Taue hingen überall um sie herum, und überall auf dem Schiffsdeck lagen weitere Taue zu Rollen aufgeschossen. Wo sich die Schiffswandung an Bug und Heck nach innen schwang, waren Kajüten angebracht, und auf mehreren Stellen an Deck gab es viereckige Löcher, neben denen Lukendeckel lagen. Leitern stiegen dort schräg ins Dunkle hinab. Das Deck war weiß, und die Flanken des Schiffes waren weiß, und die Kabinen waren gelb. Und während Sorren so zuschaute, strich eine schwarzweiße Katze über das Deck, wand sich geschmeidig wie ein Akrobat zwischen dem Wust von Tauen und aufgerolltem Segeltuch und Kisten und Kasten hindurch.
»Kann man da runtersteigen?« fragte sie. Der Schlammgrund schien verlassen zu sein, aber vielleicht war Kadra da unten, nahe bei dem Schiff, das sie so liebte. Die Wachtposten runzelten die Stirn, winkten sie aber dann weiter, und sie rutschte die Böschung der Gleitbahn in einer Lawine kleiner Steinchen hinab.
Hier, näher beim Schiff, überwältigte der strenge Geruch der frischen Farbe fast den Geruch des Meeres. Zahlreiche irdene Töpfe standen krumm und schief auf dem Strand herum. An einigen Stellen hatte der driftende Modder die Töpfe umgekippt. Vom Rand eines dieser Töpfe wedelte eine Rotpanzerkrabbe sie angriffslustig mit den Scheren an. Sie ging weiter zum nächsten Tiegel, und hier begrüßte sie nicht einmal eine Krabbe.
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