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Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden

Titel: Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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sagt, die können mich lehren, wie man die Karten benutzt.«
    »Und willst du?« fragte Paxe.
    Ich will nicht in den Tanjo gehen, dachte Sorren. Aber wie, wenn alles, was Marti gesagt hat, wahr ist? Sie erinnerte sich an jenen Zwischenfall auf der Straße, als die schwarzhaarige Hexe sie ... sie berührt hatte. Die Erinnerung ließ sie schaudern. Es hatte nicht richtig wehgetan. Was wäre, wenn sie die Karten in den Tanjo brächte? Wahrsagen war ni'chea, sie könnten ihr die Karten wegnehmen. Wenn aber nicht? Wenn sie ihr beibrachten, wie man liest, was die Zukunft bringen wird? Vielleicht war es ja gar nicht so schrecklich, eine von ihnen zu sein.
    »Was würdest du machen?« fragte sie.
    »Wenn ich du wäre?« sagte Paxe. »Ich würde hingehn.«
    »Und wenn ich gehe und eine Hexe werde«, sagte Paxe, »wirst du mich dann noch lieben?«
    Paxes Mund zuckte, als schmerzten sie diese Worte. Sie durchquerte den Raum zwischen den beiden, bückte sich und küßte Sorren auf den Scheitel. Ihre Stimme klang rauh, als sie antwortete: »Ich werde dich immer lieben, wohin du auch gehen magst.«
     
    Arré legte sich früh zu Bett. Der Ausflug zum Brunnen hatte sie ermüdet; sie aß nichts, was den Koch zutiefst erboste. Als sie zu ihrem Schlafzimmer hinaufstiegen, stützte sie sich schwer auf Sorrens Arm. »Haben deine Karten Marti gefallen?« fragte sie dann vom Bett her, und als Sorren nickte, sagte sie: »Fein.«
    Nachdem sie Arré schlafen gelegt hatte – wie ein übermüdetes, kränkelndes Kind bestand sie darauf weiterzuplappern, bis sie mitten im Satz einschlief –, begab sich Sorren in ihr eigenes Zimmer. Sie war ruhelos, viel zu unruhig, um schlafen zu können, doch sie wollte auch nicht trommeln. Sie ging wieder in den kleinen Salon hinunter. Elith kam hereingewatschelt und sah sie. »Was treibst du hier?« fragte die Alte. »Geh weg, geh!« Sie machte mit beiden Händen scheuchende Bewegungen. Es wäre nutzlos gewesen, mit ihr zu streiten, so ging Sorren davon. Sie trat in die Küche. Toli war dabei, einen Stör für das Frühstück auszunehmen. Der Fischgeruch ließ sie zurückweichen.
    Schließlich trat sie ins Freie. Der Himmel war mondlos; die Mondsichel, die über den Nachmittagshimmel gewandert war, war hinter dem Rand der Welt versunken. Sorren ging durch den hinteren Hof des Hauses. Die Platten fühlten sich an den bloßen Füßen kalt an. Wenn sie in den Tanjo gehen würde ... Der Gedanke ließ ihren Mund austrocknen. Sie wanderte zur Umzäunung des Waffenhofes und ließ die Hand über eine der Planken gleiten. Wenn sie wirklich und wahrhaftig eine Hexe war ... Sie biß sich auf die Lippen und wanderte weiter, und ließ dabei die Finger sacht über das Holz gleiten.
    Sie kam am Tor zum Waffenhof vorbei und blieb abrupt stehen. Jemand hielt sich da auf. Das Geräusch von schweren bestimmten Atemzügen drang über den umzäunten Platz zu ihr herüber, so gleichmäßig, als wäre es die Brandung der See. Sie spähte durch das Torgatter, und ihr Herz begann wild zu schlagen. Paxe stand auf dem Kampffeld. Ihre hohe Schattengestalt war nicht zu verwechseln. Sie hielt ein Schwert, als stünde sie einem Gegner gegenüber, und sie bewegte sich in einem raschen Bewegungsmuster, und die Lotschnur ihres Rückgrats war straff und gerade. Sorren krallte die Finger um die kühlen Eisenstangen des Tores und stand völlig still da. Das Schwert schimmerte – es war Metall, kein Holz.
    Paxe hatte sie nicht gesehen. Die Hofmeisterin trug die Kleidung, die sie auch sonst anzog, wenn sie Wache hatte, doch in der sternklaren Nacht sah sie mehr wie ein Schatten, denn wie ein menschliches Wesen aus. Ihre Bewegungen erinnerten Sorren an die Bewegungen Isaks in seinem Tanz, doch wo Isak graziös gewirkt hatte, wirkte Paxe tödlich. Und plötzlich kam ihr Isak vor wie ein Kind, das Kunstmachen spielt. Das da ist die wahre Kunst, dachte Sorren. Ihre Augen begannen zu schmerzen, und sie blinzelte, um sie zu entspannen. In der Halbdämmerung veränderte sich Paxes Umriß, und plötzlich sah Sorren nicht sie, nicht Paxe, sondern den Lehrer aus ihrer Vision ... Sie blinzelte erneut, und nun sah sie wieder ihre Geliebte. Aber es war eine Paxe, die Sorren nicht kannte, die sie wohl nie gekannt hatte. Das Mädchen schauderte fröstelnd zusammen. Und Paxe, hochgewachsen und schlank und todbringend, tanzte ... stieß zu, sprang auf, stieß wieder zu, ein dunkler fließender Schatten vor dem Webmuster der Sterne, die weißen Augäpfel

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