Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
bei den Docks. Und dann hab' ich die Hörner gehört ...« Sie biß in den Apfel und begann plötzlich zu zittern. Ihr Mund arbeitete. »Ich hab' mich in einem Hauseingang versteckt. Vor meinen Füßen ist eine Frau gestorben. Ihr ganzer Kopf war weich, ganz wie Brei.« Sorren schluckte bebend.
Paxe nahm ihr den Apfel aus der Hand. »Geh rauf und wasch dich!« befahl sie brüsk. Und über die Schulter sagte sie zu Arré: »Am besten, wenn sie mit was beschäftigt ist.« Zu Sorren sagte sie: »Heut abend ist Ratssitzung, und du wirst dabei gebraucht. Lalith!« Es war Paxes Waffenhofstimme. Lalith kam ins Zimmer geschossen, als habe ihr jemand einen Tritt in den Hintern versetzt. »Begleite Sorren ins Waschhaus und hilf ihr, sich zu säubern. Du bleibst bei ihr!«
»Aber ... die Küche ...«
»Geh!« befahl Paxe und stupste Sorren an der Schulter. Das blonde Mädchen ging hinaus. Arré blickte zu Paxe hinüber und sah, daß diese vor Wut zitterte. »Wenn ihr etwas passiert wäre ...« sagte die Hofmeisterin.
»Aber es ist ihr ja nichts geschehen«, sagte Arré. Paxe holte tief Luft, um sich zu beruhigen, aber ihre Augen blieben schwarz wie Obsidian.
Auf dem Gang erklangen schwere Schritte, und die beiden Frauen fuhren herum. Ein Wachtposten kam mit einem blanken Schwert in der Hand durch die Tür. »Du hast das da haben wollen, Hofmeisterin.«
Paxe nahm ihm die Waffe ab. »Danke. Abtreten.« Er verneigte sich und polterte davon. »Schau, Arré!« Paxe hielt die Klinge ins Licht, die Sonne lief schimmernd über den Stahl. Arré schauderte zusammen, als sie sich fragte, ob dieses Schwert einen Menschen getötet hatte.
»Wo kommt es her?« fragte sie. »Kannst du das sagen?«
Paxe nickte. »Das ist eine Arbeit der Ismeninschmiede. Der Stahl ist heller als der Tezera-Stahl. Das ist eins von den Schwertern, die Cha Minto aus dem Westen hereingebracht hat.«
»Wenn es Cha Minto war«, sagte Arré.
Paxe antwortete: »Leth-no-Chayatha hat nicht gelogen, Arré.«
»Oh, ich glaub dir's.« Aber ich kenne auch Cha Minto, dachte sie, und selbst angesichts Isaks stillschweigendem Einverständnis kann ich nicht glauben, daß er etwas mit dem Auftauchen der Schwerter hier in der Stadt zu tun hat. Nein, es müssen die Ismeninas gewesen sein. »Würdest du einen Eid auf die Herkunft dieses Schwertes leisten?« fragte sie.
»Vor dem Wächter im Tanjo«, sagte Paxe.
Arrés Augen brannten. Ich werde es ihr sagen müssen, dachte sie. »Paxe ...« Sie holte tief Luft.
Paxe unterbrach sie: »Ich weiß, was du gleich andeuten wirst«, sagte sie. »Du willst sagen, daß Dobrin mich belogen hat. Sag es nicht!«
Arré seufzte. »Nein, das wollte ich nicht sagen. Wenn du mir erklärst, daß Dobrin dir die Wahrheit gesagt hat, dann muß ich dir glauben. Ich kenne den Mann nicht. Nur – es ist möglich, daß jemand ihn belogen hat.«
Paxe runzelte die Stirn. »J-j-jaaa. Aber er hat so sicher geklungen, Arré.«
»Nach der Sitzung heut abend werde ich mit Cha Minto sprechen. Ich werde ihm das sagen, was du mir über die Schwerter und seine Beteiligung an der Sache gesagt hast. Wünschst du dabei anwesend zu sein?«
»Ja«, sagte die Hofmeisterin. »Ist das möglich?«
»Es läßt sich arrangieren«, antwortete Arré.
Paxe blickte visierend die Schwertkante entlang. »Das würde mich freuen«, sagte sie leise. Sie griff nach ihrer Pike. »Ich muß das da wegräumen. Wenn du mich brauchst, ich bin kurz im Waschhaus, dann später drunten am Hang beim Tanjo-Wachhaus. Der Torposten wird wissen, wo man mich findet.« Seitwärts drückte sie sich aus der Tür, in jeder Hand eine Waffe. Arrés Kehle schmerzte, es verlangte sie zu weinen. Wir hätten nicht warten dürfen, dachte sie, wir hätten den Waffenhof der Ismeninas durchsuchen müssen, ihnen die Waffen fortnehmen müssen; wir hätten die Schwertausbildung noch in der Woche, in der sie damit anfingen, unterbinden müssen – zweiundzwanzig Tote! Ich hätte es wissen müssen, ich hätte in der Lage sein müssen, es zu verhindern! Verflucht sollst du sein, Ron Ismenin! O Mutter, ich hätte es wissen müssen ...
Als Paxe die Waffen hinter dem Tor des Waffenhofes abgelegt hatte und in das Waschhaus trat, fand sie Sorren allein vor. Sie rieb sich die Haare mit einem Handtuch trocken, und die Strähnen liefen wie gesponnenes Gold zwischen ihren Handflächen und dem Stoff hindurch. Das Waschhaus wirkte verwahrlost; früher einmal war es in leuchtendem Safrangelb ausgemalt gewesen,
Weitere Kostenlose Bücher