Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
außerdem war es unfair von seiner Großmutter, dass er seinen Fang nicht herumzeigen durfte. Mehr als unfair. Ob sie vielleicht neidisch auf ihn war?
Heiß schoss die Empörung durch seine Brust und sofort schämte er sich. Wie konnte er nur so etwas denken? Was war bloß los mit ihm? Kai schüttelte den Kopf. Egal, Rorben und die anderen warteten auf ihn.
Kai hakte die Laterne mit dem großen Irrlicht aus der Verankerung und betrachtete das Flammenwesen stolz. Anschließend warf er ein Tuch über die Leuchte, um sein verräterisches Strahlen zu verdecken. Auf leisen Sohlen verließ er die Kammer wieder, verriegelte die Tür und schlich mit der abgedunkelten Laterne in der Hand zur Ausgangstür.
»Kai?«
Kai hielt inne und sah sich fieberhaft um. Schnell stellte er die Laterne hinter einem Butterfass ab.
»Ich wollte gerade los«, rief er möglichst unbekümmert.
Er atmete tief ein und öffnete die Tür zur Schlafkammer einen Spaltbreit. Seine Großmutter lag bereits im Bett. Neben ihr auf dem Nachttisch stand ein Leuchter mit Kerzen, die den Raum in warmes Licht hüllten. Aus irgendeinem Grund mochte seine Großmutter die Anwesenheit von Irrlichtern in ihrer Kammer nicht. Als sie Kai bemerkte, ließ sie die Stickerei in ihren Händen sinken.
»Wolltest du dich etwa aus dem Haus stehlen, ohne dich zu verabschieden?«, schmunzelte sie.
»Nein, nein«, stammelte Kai. »Ich dachte bloß, du schläfst schon.«
»Ich lege mich doch nicht zur Ruhe, ohne dir vorher noch viel Spaß zu wünschen. Tut mir Leid, dass du allein gehen musst. Aber ich bin wirklich sehr müde.« »Mach dir keine Gedanken. Ich werde auch nicht allzu lange fortbleiben.« Kai hoffte, seine Großmutter würde nicht auf den schalen Lichtschein aufmerksam werden, der trotz seiner Vorsichtsmaßnahmen die Dunkelheit hinter ihm durchdrang. »Geht es dir gut?«, fragte sie ihn mit besorgter Miene. »Ja. Wieso fragst du?« »Du wirkst heute so ... unruhig. Du isst, als hätte ich dich tagelang hungern lassen. Und vorhin, als du auf dem Zimmer warst, klang es, als würdest du dich auf einen Moorlauf vorbereiten.«
»Ach Unsinn.« Kai rang sich ein gequältes Lächeln ab. Er wollte endlich los. Warum fragte sie ihm ausgerechnet heute Löcher in den Bauch? »Ich freue mich bloß auf das Fest.«
»Erzähle den anderen lieber nichts von gestern Nacht. Ich mache mir noch immer so meine Gedanken deswegen.«
Verständnislos starrte Kai sie an. »Wieso das denn?«
»Was da im Moor geschehen ist, ist mir unheimlich. Solange wir nicht wissen, welche Kräfte das waren, die du geweckt hast, solltest du dich in Acht nehmen. Versprichst du mir das?«
Kai nickte, verstand aber kein Wort.
»Und du bist mir auch nicht böse, weil ich dir verboten habe, den anderen das große Irrlicht zu zeigen?«
Bei diesen Worten lief Kai feuerrot an. Er hoffte, dass es im Raum schummrig genug war und seine Großmutter es nicht bemerkte.
»Nein. Natürlich nicht«, murmelte er.
»Na, dann ist ja gut. Komm, mein Junge«, seufzte sie. »Gib deiner alten Großmutter einen Kuss.«
Kai verdrehte innerlich die Augen, trat an das Bett heran und küsste seine Großmutter auf die Wange. Hoffentlich ließ sie ihn jetzt fort.
Sie fasste ihm an die Stirn.
»Ganz schön warm. Ich hoffe, du hast dich nicht verkühlt.« »Hab ich nicht«, sagte er gereizt. »Mir geht es gut.« Musste sie ihn jetzt auch noch wie ein kleines Kind behandeln? »Na, dann amüsiere dich schön.«
»Mach ich«, antwortete Kai ungeduldig. Kurz darauf stand er wieder in der Wohnstube, schnappte sich die Laterne und lief fluchtartig aus der Mühle. Erst auf dem alten Lehmweg zur Ortschaft wurde er langsamer. Zögernd hielt er inne.
Er war ungerecht zu seiner Großmutter gewesen. Sollte er die Laterne doch wieder zurückbringen ? Aber sie musste doch einsehen, wie wichtig ihm das Treffen heute Abend war. Sie konnte doch nicht wollen, dass Rorben und sein Bruder ihn weiterhin verspotteten. Die beiden würden ihm das Leben zur Hölle machen, wenn er jetzt kniff. Endlich hatte er die Gelegenheit, diese Angeber vor allen anderen auszustechen. Was konnte daran falsch sein ? Sicher würde ihn seine Großmutter verstehen, wenn er es ihr später erklärte.
Es dauerte nicht lange und er hatte Lychtermoor erreicht. Schon von fern trug der laue Nachtwind fröhliche Festmusik heran. Die Klänge von Lauten, Schalmeien und Trommeln erfüllten die Dunkelheit. Kaum hatte Kai die Kate von Bauer Usehup passiert, kam ihm bereits
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