Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
Geschäftsstraße einzuschwenken, die parallel zu der finsteren Ruine der Hammaburg verlief. »Beeile dich«, wies ihn der Däumlingszauberer an. »Leider hat uns die kleine Stadtführung mehr Zeit gekostet, als ich beabsichtigt hatte. Ratsherr Schinnerkroog wird es nur zu gern sehen, wenn ich mich verspäte.«
Kai erinnerte sich wieder an das Gespräch mit den Windmachern, das er vor einigen Wochen belauscht hatte.
»Ist er ein wichtiger Mann?«, tat er arglos.
»Ja, leider«, antwortete der Däumlingszauberer missmutig. »Er ist der Erste Ratsherr der Stadt. Ein unbelehrbarer Wichtigtuer, auf den das Schimpfwort >Pfeffersack< besser zutrifft als auf jeden anderen der ach so hochweisen Herren Stadträte. Am liebsten wäre es ihm, wenn man die Zauberwerker Hammaburgs gänzlich aus den Stadtwällen vertriebe.«
»Wieso das?«, fragte Kai, während er einer eleganten Kutsche auswich, die auf dem Weg zum Hafen war.
»Nun, früher hatte Schinnerkroogs Bruder Simor das Amt inne«, berichtete der Magister. »Diesem Simor Schinnerkroog hat die Stadt die Ergreifung von Mort Eisenhand zu verdanken. Er kam später durch einen Fluch Morbus Finsterkrähes ums Leben. Der jetzige Schinnerkroog ist leider aus gänzlich anderem Holz geschnitzt. Wenn es nach ihm ginge, würde die Stadt vor der Nebelkönigin Morgoya kuschen. Neutralität bewahren<, nennt er das«, fluchte Eulertin. »Er glaubt allen Ernstes, dass Hammaburg so vor ihrem Einfluss geschützt werden könne. Leider gewinnt er unter den Zauderern und Angsthasen der Stadt immer mehr Anhänger.«
Inzwischen hatten sie einen großen, gepflasterten Platz erreicht, der von vornehm aussehenden Gebäuden flankiert wurde. Eulertin machte Kai auf die Börse der Stadt aufmerksam, einem prunkvollen Bau mit marmornen Säulen, über dem ein Fresko angebracht war, das Säcke und Fässer zeigte, die eine große Waage einrahmten. Die Börse stand direkt gegenüber des so genannten Commerziums, in dem die Kapitäne und Kaufleute der Stadt tagten. Es handelte sich um einen Fachwerkbau, der ebenfalls recht ansehnlich war. Unter dem hölzernen Dachgiebel über dem Eingang hing das bronzene Bildnis einer protzigen Kogge mit stolz geblähten Segeln, auf dem sich golden die Strahlen der Sonne brachen.
Überall auf dem Platz waren geschäftige Kaufleute unterwegs, zwischen denen Schreiber und wichtigtuerische Stadtbeamte herumwuselten. Vor allem aber stach ein stattlicher, weiß gekalkter Steinbau mit grünem Kupferdach hervor: das Rathaus Hammaburgs.
Es lag neben einem großen künstlichen Wasserbecken, das über Kanäle mit der Elbe verbunden war. Drei leuchtend weiße Schwäne zogen auf der Wasserfläche ihre Bahn. Vor dem Rathaus standen zahlreiche Kutschen und versperrten den Blick auf eine Fassade, in die eine endlose Zahl von Nischen eingelassen war. Darin standen die Statuen ernst drein-blickender Männer und Frauen.
»Das sind all die Ersten Ratsherren Hammaburgs, die seit dem Untergang des Kaiserreichs in den Schattenkriegen die Amtsgeschäfte geführt haben«, erläuterte Eulertin.
»Was für ein Kaiserreich? Und was für Schattenkriege?«, fragte Kai erstaunt. »Ach, Junge«, seufzte der Däumling auf seiner Schulter. »Du hast nie von Kaiser Kirion gehört, den ihr Menschen >den Löwen< nennt?«
Kai schüttelte beschämt den Kopf.
»Deine Unbildung ist wirklich erschütternd. Leider ist für weitere Geschichtslektionen jetzt keine Zeit. Wenn du vielleicht einen Schritt zulegen könntest.«
Kai schnaubte unwillig und kam an einer langen Reihe von Irrlichtlaternen vorbei, die nachts den Rathausplatz beleuchteten. Wie am Tage üblich, waren die Lohenmännlein müde in sich zusammengesunken und glimmten mit schwacher Flamme vor sich hin. Immerhin, hier war vom Irrlichterraub nichts zu bemerken.
Der Zauberlehrling drängte sich mit seinem Meister auf der Schulter zwischen den Pferden und Kutschen hindurch, dann hatten sie die steinerne Treppe zum Eingang des Rathauses erreicht. Flankiert wurde sie von zwei streng dreinschauenden Gardisten mit Halskrausen und blinkenden Helmen, die kämpferisch ihre Hellebarden aufgepflanzt hatten. Soeben kam ein hagerer Stadtschreiber mit ledernen Ärmelschonern aus dem Gebäude. Er grüßte Magister Eulertin knapp. Kai beachtete er überhaupt nicht. Schließlich betraten sie die weiträumige, mit Säulen geschmückte Eingangshalle des Rathauses. An den bis hoch zur Decke getäfelten Wänden hingen riesige Gemälde, die stolze Hammaburger
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