Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
Schiffe zeigten. In der Mitte der gefliesten Halle erhob sich ein marmorner Springbrunnen, dessen Muschelbecken von steinernen Wassernixen getragen wurde. Bewundernd glitt Kais Blick über die schimmernden Fisch schwänze der Skulpturen, in die dünne Silberschuppen eingebettet waren. Natürlich war ihr Kommen nicht unbemerkt geblieben. Sie wurden von einem Dutzend Schreibern und anderen Stadtbediensteten beäugt, die überall auf den Gängen standen und sich leise unterhielten.
»Ah, der hoch verehrte Zunftmeister Magister Eulertin!«, säuselte eine Stimme. Ein blonder Mann im rotblauen Wams eines Ratsdieners kam auf sie zu und verneigte sich. »Die hochweisen Herren und Damen Stadträte haben sich bereits oben im Windsaal versammelt. Ratsherr Schinnerkroog hat die Sitzung um eine Stunde vorverlegt. Hat man Euch nicht darüber informiert?«
»Nein«, schnaubte Eulertin entrüstet. »Aus irgendeinem Grund hat diese sicher unbedeutende Terminänderung nicht den Weg in die Windmachergasse gefunden. Ist wenigstens Ratsherr Hansen vor Ort?«
»Ja, der hochweise Herr wohnt der Versammlung bei.«
»Gut, immerhin«, murrte der Däumling. »Sputen wir uns also.«
Der Ratsdiener führte sie eine große Freitreppe hinauf, über der ein Relief hing, auf dem übergroß der Stadtschlüssel vor dem Wappen Hammaburgs zu sehen war: eine Burg, vor der sich stolz ein Schwan abzeichnete.
»Wer ist dieser Ratsherr Hansen?«, flüsterte Kai.
»Der Stadtkämmerer Hammaburgs«, brummte Eulertin. »Er verwaltet die Finanzen. Zugleich ist Hansen einer meiner engsten Verbündeten unter den Stadträten. Ein ehrenvoller Mann.«
Sie liefen einen Gang hinunter, direkt auf ein großes Doppelportal zu, auf dessen Flügeln abermals Stadtschlüssel und Wappen zu erkennen waren.
Der Ratsdiener legte den Finger auf die Lippen und öffnete leise die Tür. Von drinnen ertönte erregtes Gemurmel.
Vor Kai und dem Däumlingszauberer erstreckte sich ein großer Saal mit leicht abschüssigen Sitzreihen, an dessen Stirnseite zwei Prunkfenster hoch zur Raumdecke aufragten. Ein Glasmaler hatte sie mit bunten Bildern von Koggen sowie exotischen Ländern und fernen Meeren geschmückt.
Im Saal hatten sicher an die siebzig Männer und Frauen Platz genommen. Da sich das große Portal im Rücken der hier Versammelten befand, konnte Kai ihre Gesichter nicht sehen. Staunend betrachtete er die düstere Amtstracht, die die hochweisen Damen und Herren trugen. Die Männer waren in schwarz wattierte Mäntel mit weißen Halskrausen gekleidet. Viele von ihnen trugen dazu passende dunkle, breitkrempige Hüte, die nach oben hin in abgeflachten Kegeln endeten. Die Ratsdamen trugen Kleider aus dem gleichen dunklen Stoff, welche am Hals weiß gerüscht waren. Ihre Haare hatten sie zu turmartigen Gebilden hochgesteckt. Sie alle starrten zu einem großen Rednerpult zwischen den beiden hohen Fenstern hinunter. Dort stand ein hagerer Mann mit stechendem Blick und hängenden Mundwinkeln, der sein strähniges Haar eitel über die Halbglatze gekämmt hatte. Auch er trug die düstere Tracht der Ratsherren, nur dass vor seiner Brust eine goldene Medaille baumelte, auf der das Stadtwappen prangte. Kai wusste auch ohne nachzufragen, wer der Mann da unten war: Schinnerkroog, der Erste Ratsherr der Stadt.
»... und deswegen, hochverehrte Herrschaften«, deklamierte Schinnerkroog mit schriller Stimme, »und deswegen ist es unsere Pflicht, mit dem Übel in unserer Stadt aufzuräumen ! Haben die Gründerväter dieser Stadt nicht geschworen, ein Heim für fleißige und strebsame Kaufleute zu schaffen? Lag es nicht in ihrer Absicht, Redlichkeit und Anstand zu fördern, indem sie einen Ort schufen, in dem sittliche Menschen Schutz und Obdach finden ? Ich spreche von nichts Geringerem als jenen Tugenden, die unsere Stadt einst groß gemacht haben!«
Zustimmendes Gemurmel kam auf, während Kai auf einem Hocker in der letzten Reihe Platz nahm. Magister Eulertin stand angespannt auf seiner Schulter und lauschte konzentriert den Worten des Ersten Ratsherrn.
»Was ist aus alledem geworden?«, keifte Schinnerkroog. »Lasst mich offen sprechen. Hammaburg ist zu einem Hort des Schmutzes und des Lasters verkommen! Überall in der Stadt suhlen sich kriminelle Elemente, die sich wie Blutegel an unserem Gemeinwesen gütlich tun. Abschaum, den wir aus falsch verstandener Hilfsbereitschaft in unserer Mitte dulden und der unsere Güte Tag für Tag missbraucht. Ich spreche von jenem Hort der
Weitere Kostenlose Bücher