Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
er.
»Ja, das ist sie«, antwortete der Zauberer. »Von ihr hat die Stadt ihren Namen. Sie fiel vor über vierhundert Jahren. Die Nordmänner segelten damals auf ihren Drachenbooten die Elbe hinauf und legten Burg und Stadt in Schutt und Asche.«
»Warum hat man sie nicht wieder aufgebaut?«
»Weil es heißt, dass es dort oben spukt«, wisperte Eulertin. »Und anscheinend tut es das tatsächlich ... Einige Steine der Burg hat man zum Bau neuer Befestigungen verwendet. Doch stets ist in diese Bauten über kurz oder lang der Blitz eingeschlagen und sie sind abgebrannt. Außerdem heißt es, dass noch heute Menschen in der Ruine verschwinden, die so dumm sind, sich in das alte Gemäuer vorzuwagen. Die Hammaburg ist alt. Sehr alt sogar. Und die Geschichten, die man sich über sie erzählt, stimmen einen sehr nachdenklich.«
Wie immer wenn es interessant wurde, verfiel Magister Eulertin wieder in sein nur allzu bekanntes Schweigen. Kai starrte den Däumling auf seiner Schulter missmutig an und wünschte sich, dass sich dieser nur einmal klarer ausdrücken würde. Stattdessen klatschte der Magister in die winzigen Hände. »Und jetzt hurtig, Junge. Ende der Stadtführung. Meister Mehldorn und der Stadtrat warten auf uns!«
Die Ratsversammlung
Am Himmel kreischten die Möwen und eine steife Brise fuhr über Kais Gesicht. Er strich sich eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn und atmete tief die Hafenluft ein. S ie roch verwirrend nach Holz, Fisch und Teer. Doch er achtete kaum darauf, denn der Anblick, den ihm der Hafen Hammaburgs bot, war überwältigend.
Das große Hafenbecken wurde von hohen Speichern, Ankerschmieden und den Kontoren reicher Handelsherren gesäumt. Überall waren Schauerleute, Lagerverwalter und Fischhändler zu sehen, die rufend und krakeelend ihren Geschäften nachgingen. Kai konnte einen großen hölzernen Kran ausmachen, dessen gewaltiger Lastarm soeben über den Stauraum einer dickbäuchigen Kogge schwenkte. Das Handelsschiff war an einer nahen Kaimauer vertäut und auf dem Deck turnten Matrosen mit bunten Pluderhosen herum. Sie waren damit beschäftigt, schlanke Amphoren aus dem Schiffsbauch zu hieven. Kai fragte sich, welche exotischen Meere dieses Schiff wohl schon befahren hatte. Es war natürlich nur eines von vielen, die im Hafen vor Anker lagen. Schwarz ragten ihre Masten zum leicht bewölkten Himmel auf. Kai erschienen sie wie ein Wald entlaubter Bäume.
Dann streifte sein Blick eine große Galeere an einer Kaimauer im Westen, deren ramponierte Schiffsverkleidung aussah, als ob dort ein Riese ein Stück herausgebissen hätte. Die Galeere besaß ein Bugkastell, auf dem eine gewaltige Harpune befestigt war. Erst jetzt entdeckte Kai die Männer und Frauen in schweren Teerjacken, die an der Hafenmole eine sicher fünfzehn Schritt lange Seeschlange mit drachenartigem Kopf zerlegten. Das Geschöpf besaß Flossen, die so groß wie die Segel mancher Jollen waren, die im Hafen kreuzten. Ein beständiger Blutstrom ergoss sich von der Kaimauer in das Hafenbecken und färbte das Wasser rot.
»Ich fasse es nicht«, murmelte Kai verwundert. »Ich dachte immer, die Geschichten über Seeschlangen seien reines Seemannsgarn.«
»Mitnichten«, entgegnete Magister Eulertin. »Da draußen im Nordmeer begegnet man noch ganz anderen Wesen, wenn man nicht vorsichtig ist. Seit Morgoya über Albion herrscht, werden es von Monat zu Monat mehr. Allerdings bringen nur die wenigsten Kapitäne den Mut auf, ihnen gezielt nachzustellen. Leute wie Kapitän Asmus gehen ein großes Wagnis ein. Aber der Gewinn, den sie mit dem Fleisch machen, ist gewaltig. Ganz zu schweigen von den Verkäufen an Alchemisten und Scharlatane, die sich noch für so manch andere Körperteile dieser Ungeheuer interessieren. Und nun sei so gut und bring mich zu Meister Mehldorn. Seine Backstube liegt dort hinten, gleich neben dem Schiffsausrüster mit dem Anker vor dem Geschäft.«
Kai fasste eine niedrige Häuserzeile mit Ladengeschäften ins Auge. Sie säumten den Platz mit der großen Waage Hammaburgs, über deren geeichte Gewichte drei Stadtbüttel mit Hellebarden wachten. Noch immer beeindruckt von dem, was er gesehen hatte, blickte Kai zum Hafenbecken und dem gewaltigen Elbstrom zurück. Erst jetzt fiel ihm auf, dass auch am jenseitigen Ufer der Elbe Gebäude zu erkennen waren. Soweit er es aus der Entfernung ausmachen konnte, handelte es sich um ein Meer windschiefer Baracken und Zelte. Sogar eine Vielzahl von Schiffen dümpelte vor
Weitere Kostenlose Bücher