Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
aus Rissen und Schächten der Höhlendecke stachen. Der Magister ging natürlich nicht selbst, er ließ sich wieder von Kai tragen und warnte ihn vor tief herabhängenden Decken und schroffen Kalksteinzungen, die allerorten aus den mal schmutzig braunen, dann wieder hellblauen Wänden ragten. Noch immer umschwirrten und umsäuselten sie kleinere Luftelementare.
Das Gewirr der Höhlen schien endlos. Kai fragte sich, wie weit sie noch gehen mussten, bis die Windgeister sie an das unbekannte Ziel ihrer Reise geführt hatten. Schließlich erreichten sie eine riesige Halle, in der die sechs großen Windgeister bereits auf sie warteten. Ihre Wolkengesichter musterten sie mit teils spöttischen, teils finsteren Blicken.
Viel mehr aber erstaunte Kai die dunkle Basaltstatue eines hochmütig wirkenden Mannes mit kurzem Spitzbart und einem langen Gewand mit einem hohen Kragen, der ihr fast bis zum Scheitel reichte. Das düstere Standbild stand mitten in der Höhle und hielt einen Stab in der Linken, der oben an der Spitze in einem unheimlichen Krähenkopf auslief. Mit seinen weit aufgerissenen Augen schien der Steinerne die Neuankömmlinge direkt anzustarren. »Bei allen Moorgeistern!« Kai schluckte und ihm kam ein böser Verdacht. »Ist das dort der verwandelte Morbus Finsterkrähe?«
»In der Tat«, brummte Magister Eulertin grimmig. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich seine Statue an einen sicheren Ort gebracht habe. Hier wird ihn so schnell niemand finden.«
Kai trat näher an den Verwandelten heran und entdeckte, dass Morbus Finsterkrähe die rechte Hand fehlte. Dort lief das Gestein in einem fransigen Stumpf aus. Richtig, der Däumling hatte ihm damals berichtet, dass Dystariel Finsterkrähe im Kampf die Hand abgeschlagen hatte. Seltsam nur, dass es nicht wie abgeschlagen, sondern eher wie abgebissen aussah ...
»Wäre es nicht besser gewesen, Finsterkrähe tief im Meer zu versenken?«, flüsterte Kai. Irgendetwas an der Statue war ihm nicht geheuer. Nur kam er nicht darauf was es war. Stirnrunzelnd löste er seinen Blick von dem Standbild.
»Damit Morgoyas Kreaturen ihn dort finden und die Nebelkönigin ihn wieder zurückverwandeln kann?«, erwiderte Eulertin leise. »Nein, nein. Außerdem hat der Nordwind ein großes Interesse daran, die Statue persönlich zu bewachen. Finsterkrähe besaß ein Artefakt, mit dem er ihn kontrollieren konnte. Mir hat es der Nordwind zu verdanken, dass er heute frei ist.«
»Der Knabe soll vortreten!«, dröhnte der Nordwind jenseits der großen Halle. »Warte, Junge«, wisperte Eulertin. »Was auch immer die Windgeister mit dir vorhaben, denke stets daran, dass du dich vor ihrer Tücke und Launenhaftigkeit in Acht nehmen musst! Egal, wie die Prüfungen aussehen, du wirst einfallsreich und listig sein müssen. Verstanden?«
Kai nickte.
»Gut.« Eulertin stieß sich mit erhobenen Armen von Kais Schulter ab und verharrte schwebend vor seinem Gesicht. »Und jetzt, Junge, zeige, was in dir steckt. Es geht um dein Leben!«
Kai atmete tief ein und schritt an Finsterkrähes Statue vorbei auf die Windgesichter zu, die brausend zur Seite glitten und den Zugang zu einem düsteren Schacht freigaben. »Um zum Herzen der nachtblauen Stille zu gelangen, wirst du drei Grotten durchqueren müssen«, gewitterte der kalte Nordwind. Seine blitzenden Augen starrten mitleidslos auf Kai herab. »Diese Grotten werden durch Pforten getrennt, die jeweils zu erreichen dein Ziel sein wird.«
»Das ist alles?«
»Ja«, säuselte eine spöttische Stimme neben ihm. Sie gehörte zu einem weiblichen Gesicht mit verschleiertem Blick und wehendem, faserigem Wolkenhaar. »Das ist alles!«
Die sechs Winde lachten, als habe die Steife Brise einen Scherz gemacht, und Kai wurde von Orkanböen durchgeschüttelt. Grimmig hielt er seinen Mantel fest und stemmte sich gegen den Wind, bis er den düsteren Höhleneingang erreicht hatte.
Ohne sich noch einmal umzusehen, schritt er ins Dunkle.
Kai fluchte angesichts der Finsternis, die ihn umgab. Er hätte unbedingt daran denken müssen, eine Laterne mitzunehmen. Er dachte an das Irrlicht in seiner Stube zurück. Das hätte er jetzt wirklich gut gebrauchen können. Dennoch tastete er sich tapfer an den Felswänden entlang, bis er weiter vor sich ein blaues Leuchten entdeckte. Wenigstens hatte die Dunkelheit ein Ende.
Kai zwängte sich durch eine Felsspalte und erblickte eine gewaltige Kaverne, in der bläulich schimmernde Luftgeister tobten. Es waren stürmische
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