Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
er.
»Oh, ich vergaß«, antwortete Eulertin. »Das dort ist Berchtis' Leuchtfeuer! Sein magisches Licht schützt Stadt und Land. Als Morgoya vor vielen Jahren die Herrschaft in Albion übernahm, wurde schnell deutlich, dass sie nichts unversucht lassen würde, ihr schreckliches Schattenreich auch auf den Kontinent auszudehnen. Glücklicherweise ertragen die meisten ihrer Kreaturen das Sonnenlicht nicht. Sie ziehen die Dunkelheit vor. Es musste daher ein Schutz gegen Morgoyas Heer errichtet werden, der auch bei Nacht wirksam ist. Der Turm erleuchtet den Küstenstreifen bis weit auf die See hinaus mit sonnengleichem Feenlicht. Dieses Licht können Morgoyas Kreaturen nicht überwinden.«
»Ich sehe kein Licht«, meinte Kai zweifelnd.
»Nein, bei Tage erlischt es. Es entzündet sich erst, wenn die Sonne untergeht.« Kai verstand nun endlich, was das für ein Lichtschein war, den er nachts am nördlichen Horizont Hammaburgs gesehen hatte.
»Und was ist sein Ursprung?«
»Darüber gibt es nur Vermutungen«, rief der Zauberer. »Es handelt sich um rätselhafte Feenmagie, die nichts mit der Zauberei von uns Magiern zu tun hat. Einige von uns Magiern glauben, der Ursprung des Leuchtfeuers sei das unendliche Licht selbst. Jene Kraft, die seit Anbeginn der Zeiten die gesamte Schöpfung durchdringt. Dich, mich. Kurz, jedes Lebewesen dieser Welt.«
Kai riss ehrfürchtig die Augen auf. »Feenkönigin Berchtis muss eine große Feindin Morgoyas sein!«
»Oh ja«, antwortete Eulertin. »Gegensätzlicher könnten sie nicht sein. Berchtis steht für das Leben, Morgoya für den Tod. Und wenn es stimmt, was man sich erzählt, hat Feenkönigin Berchtis für uns alle ein großes Opfer erbracht. Denn dann hat sie, um das Leuchtfeuer zu entzünden, einen Teil von sich selbst geopfert.«
»Wieso geopfert?«
»Wir sprechen hier nicht von profaner Magie, sondern von einer viel mächtigeren, uralten Kraft, mein Junge. Dieser Leuchtturm markiert die äußerste Grenze der freien Königreiche. Hier prallen Leben und Verderben aufeinander, wie sonst vielleicht nur noch im Albtraumgebirge. Komm, Kriwa, flieg meinem wissbegierigen Schüler zuliebe etwas näher an den Turm heran.«
Die Möwe beschrieb in der Luft eine leichte Kurve und näherte sich dem Leuchtturm. Kai gab einen Laut der Verwunderung von sich. Das wundersame Bauwerk ähnelte einer gewaltigen Rose. Der schlanke Turm bestand aus grünem Marmor und fächerte sich nach oben hin zu einer blütenförmigen Plattform aus rotem Gestein auf, die von dornenartigen Erkern umgeben war. In der Mitte des Blütenkelchs befand sich ein Gebäude in Form einer Trichtermuschel mit gewaltigen Kristallfenstern. Erst jetzt entdeckte Kai die beiden riesigen Krebse zu Füßen des fantastischen Bauwerks. Sie waren so groß wie Bierkutschen und lauerten zwischen den Schatten der Felsen. Als sich die drei Gefährten näherten, richteten sie sich auf und klickten gefährlich mit den Scheren.
»Nicht näher heran, Kriwa«, rief der Däumlingszauberer von hinten.
Längst hatte Kai die vielen rot schillernden Falter bemerkt, die sich zu hunderten von der Turmspitze lösten und damit begannen, sich zu einem großen Schwärm zu vereinen. Bei allen Moorgeistern! Die rote Färbung der Turmspitze rührte gar nicht vom Gestein her.
»Was ist das?«, stieß Kai hervor. Die Möwe drehte geschwind ab und jagte hinüber zum östlichen Flussufer.
»Das sind Funkenschmetterlinge«, schrie Eulertin gegen den Wind an. »Sie verwirren vernunftbegabtenLebewesen die Sinne. Ein Angreifer aus der Luft ist ihnen hilflos ausgeliefert.
So wie die Riesenkrebse unten am Fuß des Turms bewachen sie Berchtis' Leuchtfeuer in der Luft.«
»Und wenn doch jemand die Wächter überwindet?«, fragte Kai.
»Keine Sorge«, erwiderte der Däumling. »Jeden Tag fliegen die Lyren die Küste ab. Das würde auffallen. Außerdem ist der Turm mit vier elementaren Schlüsseln gesichert. Einen davon hüte ich persönlich.«
»Und die anderen?«
»Junge, du stellst vielleicht Fragen«, antwortete Magister Eulertin und lachte gutgelaunt. »Besser du ruhst dich etwas aus und sammelst Kräfte. Was vor uns liegt, ist kein Spaziergang, vor allem nicht für dich.«
Kai schwieg und versuchte, Eulertins Weisung zu folgen. Die Möwe hatte die Elbe inzwischen hinter sich gelassen und überflog eine waldreiche Gegend, die hin und wieder von glitzernden Seen durchbrochen wurde. Kai blinzelte gegen das Sonnenlicht und konnte zwischen den Bäumen hohe
Weitere Kostenlose Bücher