Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
er es überhaupt zurückschaffte. Er zog sich seine Stiefel wieder an und trottete mit flauem Gefühl weiter. Zu seinem Erstaunen vernahm er hinter einer Biegung die sanften Klänge einer Harfe. Ein wenig ähnelte das Spiel jener Melodie, die er in Fis Zaubergarten vernommen hatte. Was die Elfe wohl zu alledem hier sagen würde ? Fi war schlau. Wie gern hätte er sie jetzt an seiner Seite gehabt.
Wieder endete der Gang in einer Höhle. Diese ragte wie eine stattliche Kuppelhalle vor ihm auf und wurde von phosphoreszierenden Flechten bedeckt.
Unweit vor sich sah Kai einen klaffenden Riss am Boden, der sich über die ganze Länge der Höhle erstreckte. Er musste gute drei Schritte breit sein und wirkte ziemlich tief. Natürlich befand sich ein weiterer Gang jenseits dieser Kluft.
Sein Augenmerk galt nun der großen Harfe aus Stein, die nur wenige fingerbreit von dem Spalt entfernt stand. Ihr weißer Rahmen war mit spitz zulaufenden Muscheln verziert. Davor wiegte sich die Böe des Ostens und ließ ihre luftigen Finger über die Saiten des wundersamen Instruments wandern. Stürmisch schüttelte sie ihre Lockenpracht und sah ihn spitzbübisch an.
»Nicht schlecht, mein Kleiner«, wehte es von ihren Lippen. »Wer hätte gedacht, dass du es bis hierher schaffst? Doch nun werde ich dich prüfen. Hör gut zu.«
Ihre Wolkenfinger glitten über die filigranen Saiten und spielten eine aufbrausende Melodie, die Kai an eines jener Lieder erinnerte, das er erst vor kurzem im Schmugglerviertel vorgetragen hatte. Zu seiner Verblüffung wallte in der Kluft am Boden unversehens Nebel auf, der sich zunehmend verdichtete, bis er die Form einer Brücke annahm, die zur anderen Seite führte.
»Siehst du das?«, säuselte die Böe des Ostens. »Es ist ganz einfach. Man muss sich nur die Melodie einprägen.«
Ihre Finger glitten einmal über alle Saiten zugleich und die Brücke löste sich wieder auf. »Oh, entschuldige«, raunte die Böe des Ostens mit honigsüßer Stimme. »Aber ich lasse es dich gern selbst versuchen.«
Die Windgestalt fuhr hoch zur Höhlendecke auf und starrte lauernd zu ihm herab. Irgendetwas hatte die Elende vor, das spürte Kai. Doch was?
Kurz dachte er wieder darüber nach, den Spinnentrank einzusetzen. Doch das ging nicht. Leider befand sich in dem Fläschchen nur noch ein einziger Schluck. Er würde ihn spätestens auf dem Rückweg durch die Höhle mit den Luftgeistern benötigen. Nahm er ihn bereits jetzt zu sich, würde er in der Grotte mit dem Windskraut nicht schnell genug reagieren können. Es war wie verhext. Dieser Prüfung musste er sich stellen.
Dummerweise hatte er noch nie auf einer Harfe gespielt. Allerdings schien ihm die Melodie auch nicht allzu schwer.
Kai stellte sich vorsichtig vor das hohe Instrument und starrte das wunderbar verzierte Wunderwerk an. Es bestand zur Gänze aus Marmor. Seine Finger strichen über das Muschelrelief. Auch die Saiten wirkten wie dünne Stränge aus Kalk oder Kristall. Egal. Er musste zunächst einmal ein Gefühl für diese Windharfe bekommen. Kai griff in die Saiten - als es knackte und knisterte. Das filigrane Kalkgebilde brach einfach entzwei. Die Saiten zerbröselten und prasselten zu Boden.
Von der Decke der Höhle hallte dröhnendes Gelächter.
»Du kleiner Narr«, fauchte die Böe triumphierend. »Ich wusste, dass du nicht bestehst. Du hättest besser aufpassen müssen. Diese Harfe ist nicht für Menschenhände bestimmt, sondern für Wesen wie mich. Und unser Griff ist zart und luftig, nicht grob und hart wie der deine. Du hättest pusten müssen. Pusten. Jetzt hast du verloren. Hahaha.«
Kai sprang auf und starrte entgeistert die herumliegenden Kalkbrösel an. »Das akzeptiere ich nicht«, rief er empört. »Du hast mich hereingelegt!« »Ich, dich hereingelegt?«, höhnte die Windgestalt. »Du hättest eben erst überlegen müssen, bevor du handelst. Und nun verabschiede dich. Dein Ausflug in unser Reich ist zu Ende.«
»Nein«, rief Kai und hatte Mühe nicht zornig zu werden. Zorn und Wut waren gefährlich. »Ich allein entscheide, wann ich aufgebe!«
Wenigstens probieren konnte er es. Die Harfe war höher, als die Spalte breit war. Wenn es ihm gelang, das Instrument umzustürzen, konnte er sich vielleicht daran entlanghangeln und so die Kluft überwinden. Kai stemmte sich gegen den schweren Steinrahmen und drückte mit aller Kraft dagegen.
»Das wagst du nicht«, donnerte es von der Gewölbedecke her, und Kai fühlte, wie ihn die Böe des
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