Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
bin eben nicht der Tölpel, für den Ihr mich manchmal haltet. Ich brauchte lediglich in mich zu lauschen. Das Tier in mir hatte nur vor einer der Muscheln Angst.«
Der Däumlingszauberer lachte. »Sehr geschickt. In der Tat. Das war eine gute Idee!« »Das Ganze war auf jeden Fall ziemlich unfair. Ich wette, die Winde wollten gar nicht, dass ich die Perle finde. Ich habe keine Ahnung, wie ich sonst auf das richtige Versteck hätte kommen können.«
Der Däumlingszauberer sah nachdenklich zu Kai auf und strich bedächtig über seinen Backenbart. Da huschte ein spitzbübisches Lächeln über sein Gesicht. »Du irrst, Junge. Logik und Kombinationsgabe hätten dir ebenfalls den Weg gewiesen. Denn nach allem, was du mir von den Höhlen berichtet hast, haben dir die Winde genügend Hinweise gegeben. Du hast sie nur übersehen.«
»Welche Hinweise?«, fragte Kai erstaunt.
»Nun, die Perle befand sich in der großen Trichtermuschel, richtig?«
»Ja.«
»Die großen Trichtermuscheln in der ersten Höhle hätten dich im Falle eines Absturzes dein junges Leben gekostet. Die Lichtinseln in der zweiten Höhle besaßen ebenfalls die Form spitzer Muscheln. Und wenn es stimmt, was du sagst, bestanden die Verzierungen auf der Windharfe ebenfalls aus diesen Kalkgebilden. Du hast, wie man bei uns Däumlingen so schön sagt, die Wiese vor lauter Gräsern nicht gesehen.«
Verblüfft kratzte sich Kai am Kopf. Eulertin hatte Recht.
»Mach dir nichts daraus, Junge. Ich bin dir schließlich um einige hundert Jahre voraus.« Eulertin lachte abermals.
»Dafür frage ich mich«, sagte Kai, »woher Ihr wissen konntet, dass das Herz der nachtblauen Stille in der Kaverne der Winde versteckt war? Ich meine, diese Elfen haben damals doch sicher niemandem erzählt, wem sie die Perle anvertraut haben. Und die Winde haben es Euch gewiss auch nicht verraten, oder?«
»Oho!« Eulertin lächelte geheimnisvoll. »Mein menschlicher Zauberlehrling beweist Scharfsinn. Das, mein Junge, liegt daran, dass ich nicht der einfache Zauberer bin, für den du mich hältst...«
Kai runzelte die Stirn. Doch da es der Däumling nicht für nötig hielt, ihn weiter aufzuklären, griff er seufzend zu einer Holzzange, mit der er den heißen Glaskolben anhob.
»Ganz ruhig«, ermahnte ihn der Magier und schwebte flink neben den Aufbau. »Aus dem Trichter dürfen nur genau vier Tropfen fallen.«
Kai konzentrierte sich und überaus vorsichtig goss er etwas von dem brodelnden Tau auf die Erde. Sofort zischte und dampfte es. Über dem Humus kräuselten feine Dampfschwaden, die sich jäh zu vier vogelartigen Gestalten formten, die mit leisem Puffen in alle Himmelsrichtungen zerstoben.
Überrascht sah ihnen Kai nach.
»Aufpassen, Junge!«, rief Eulertin.
Selbst Kriwa blickte interessiert zu ihm herüber.
Rasch stellte Kai den heißen Kolben auf einem Holzblock ab und beäugte den Trichter. Zäh rann aus ihm der erste Tropfen. Er leuchtete feuerrot. Es folgten zwei weitere. Einer war tiefblau, der andere kristallklar. Und endlich bildete sich auch ein vierter. Er schimmerte in dunklem Braun. Kaum hatte er sich am Boden der Phiole mit den drei Brudertropfen vermengt, blähte sich das Gemisch schäumend auf, bis das Behältnis zur Gänze mit einer Flüssigkeit gefüllt war, die in allen Farben des Regenbogens leuchtete. Was hatte das zu bedeuten? Unwillkürlich blickte Kai zu der schwarzen Perle in dem Glaskolben. Noch immer schimmerte das Herz der nachtblauen Stille in sattem Schwarz. Die ganze Zeit über war nicht zu sehen gewesen, dass es irgendetwas an der Tauflüssigkeit verändert hatte.
»Fertig!«, rief der Däumlingszauberer. »Vor dir steht das einzige Elixier der ganzen bekannten Welt, das in der Lage ist, die arkane Fraktur in deinem Innern zu heilen. Du musst die Flüssigkeit trinken, solange sie noch warm ist.«
Kai atmete tief ein. Ihm war feierlich zumute. All die Wochen über hatte er versuchen müssen, ein Zauberer zu werden, ohne seine Kräfte wirklich anrufen zu dürfen. Und wenn doch, dann war es ihm stets vorgekommen, als würde er mit Honig bestrichen vor der Höhle eines Bären tanzen.
Tief in ihm, irgendwo in der Bauchgegend, fühlte er ein wütendes Grummeln. Das Tier in ihm spürte, was sie planten. Kurzerhand trank er den Inhalt der Phiole aus. Das Gebräu schmeckte nach nichts. Doch kaum hatte das Wunderelixier seinen Magen erreicht, krampfte sich sein Gedärm zusammen. Kai ächzte und spürte von einem Moment zum anderen ein
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