Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
Meister der arkanen Künste beherrschen die freie Zauberei ohne Formeln, doch wie ich vorhin schon erläutert habe, ist diese überaus gefährlich. Du hast das schon am eigenen Leib erfahren. Solche Zauberer müssen ihre Grenzen gut kennen. Dennoch wird dir heute jene Schwelle bewusst werden, die du künftig nicht überschreiten darfst. Der Kreis vor dir wird Weihezirkel genannt. Er verhindert, dass du ein anderes Element anrufen kannst, als jenes, zu dem du eine persönliche Verbindung besitzt.«
Kai nickte und griff entschlossen zu dem scheinbar leeren Tongefäß und stellte es in den Kreis. »Hoffentlich werde ich ein Luftmagier wie Ihr, Magister.«
Eulertin blickte ihn ernst an. »Alle Elemente haben ihre Vor- und Nachteile.« Kai hielt beide Hände mit gespreizten Fingern von sich und schloss die Augen. Er murmelte die elementare Formel, die Eulertin ihm beigebracht hatte, und konzentrierte sich. Er stellte sich einen der Sylphen vor, so wie er ihn in der Kaverne der Winde gesehen hatte. Es dauerte eine Weile und am Rande seines Bewusstseins stürmte und brauste es. Doch etwas verhinderte, dass das Brausen näher zu ihm drang. Kai strengte sich noch mehr an, versuchte noch mehr Macht an sich zu ziehen und spürte erstmals, dass er an eine gut fühlbare Grenze geriet. Doch die Beschwörung misslang. »Ich höre es, aber es geht nicht«, murmelte er enttäuscht.
Eulertin sog scharf die Luft ein, so als habe er erwartet, dass dies passieren würde. »Junge, dann probiere es gleich mit dem Feuer.«
Er sah den Däumlingszauberer überrascht an und tat, wie ihm geheißen wurde. Er wechselte die Tonschale mit jenem Gefäß aus, in dem die kleine Flamme brannte. Abermals konzentrierte er sich. Kaum, dass er in sich versank, war bereits von irgendwoher ein heftiges Prasseln und Knistern zu hören. Feuerschein erreichte seine Lider.
»Schwefel und Salpeter!«, entfuhr es Eulertin.
Kai öffnete erschrocken die Augen und sah vor sich in der Schale einen leuchtenden Feuerwusel. Das glühend rote Elementar ähnelte einem rübengroßen Gnom mit brennendem Haar und strubbeligem Funkenbart. Es war bei weitem nicht so hell wie ein Irrlicht, doch dafür gab der Feuerwusel mehr Hitze ab.
»Ihr habt mich gerufen, Herr?«, prasselte das kleine Wesen.
Kai sah verwirrt auf. Eulertin gab ihm ein Zeichen, den Feuerwusel wieder verschwinden zu lassen.
»Du darfst wieder gehen!«, rief Kai. Es war ein Puffen zu hören und das brennende Männlein verschwand in einem Funkenregen.
Aufgeregt sprang Kai auf und lachte. »Feuer! Magister, habt Ihr das gesehen ? Mein Element ist das Feuer! Jetzt verstehe ich auch, warum ich damals so viele von den Irrlichtern rufen konnte!«
»Ja, Feuer!«, presste Eulertin hervor. Er schwebte seufzend in die Höhe, schnippte mit den Fingern und aus einer Ecke kam ein Schwamm geflogen. Er tauchte in die Schale mit dem Wasser ein und begann von Geisterkräften gelenkt, den Kreidekreis fortzuwischen.
»So, wie Ihr das sagt, klingt das aber nicht gut.« Kais Euphorie verflog und er sah den Däumling verunsichert an.
»Setz dich, mein Junge!«
Eine der Truhen schwebte heran und kam direkt hinter Kai zum Stehen. Er ließ sich beunruhigt auf dem Deckel nieder und schaute dem Däumling dabei zu, wie dieser vor ihm hinauf zu dem Lehnstuhl schwebte. Nachdenklich nahm der Magister auf der ledernen Fläche vor der Eingangstür seines Häuschens Platz.
»Hör mir jetzt gut zu«, sprach der kleine Zauberer ernst und atmete schwer ein. »Was ich dir nun erzähle, ist überaus wichtig. Es betrifft dich, es betrifft uns und es betrifft die Zukunft, der wir alle entgegensehen. Du weißt bereits, dass wir in unruhigen Zeiten leben. Was du nicht weißt, ist, dass auf uns alle eine Zeit der Finsternis zukommen wird. Die Prophezeiung der drei Schicksalsweberinnen vom Nornenberg ist eindeutig. Darin heißt es, dass sich der Schatten im Norden erheben wird. Er wird die Sonne verschlingen und die Welt in Düsternis hüllen. Die einzige Hoffnung für die freien Völker bestünde darin, die letzte Flamme zu finden. Erlischt sie, ist die Welt zum Untergang verdammt.« »Ist das ein magisches Artefakt?«, fragte Kai und hoffte, Eulertin würde ausnahmsweise etwas gesprächiger sein.
»Nein«, antwortete der Däumlingszauberer. »Wir, die wir uns bemühen, das Verderben aufzuhalten, sind uns sicher, dass damit ein Zauberer gemeint ist. Ein mächtiger Magier, der dem Element des Feuers verschrieben ist. Auch Morgoya scheint
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