Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
wohltuendes Kribbeln. Es verging, wie es gekommen war. Er fühlte sich ... normal. »Das war es?«, fragte Kai verblüfft.
»Das war es«, nickte Eulertin und brachte den Glaskolben mit der restlichen Tauflüssigkeit zum Schweben, um diese in eine Flasche abzufüllen. Einzig die schwarze Perle blieb am Glasboden liegen. Eulertin hob auch sie aus dem Kolben und beförderte sie in Kriwas Richtung. Die Möwe ließ das magische Kleinod sogleich in ihrem Schnabel verschwinden.
»So, bring das gute Stück zur Flaute.«
»Wartet!« Kai sah misstrauisch zum Fenster und flüsterte. »Müssen wir die Perle wirklich so schnell den Winden zurückgeben ? Ich meine, wir können damit doch noch viel Gutes bewirken.«
»Schäm dich, Junge«, fuhr ihn der Däumlingszauberer an und warf einen alarmierten Blick nach draußen. Von der Flaute war weder etwas zu sehen noch etwas zu hören. Leider hatte das nichts zu bedeuten. Denn unglücklicherweise waren genau das ihre wesentliche Eigenschaft.
»Merke dir, dass unsereins seine Versprechen hält. Genau das unterscheidet uns von den Magiern und Hexenmeistern der dunklen Seite. Nur sie umgeben sich mit Lug, Trug und Täuschung. Es sind jene Charaktereigenschaften, die den Schatten gestatten, deinen Geist zu vergiften.«
Kai wurde rot. »Tut mir Leid. So meinte ich das nicht.«
»Doch, genau das meintest du«, fuhr der Däumling aufgebracht fort. »Und jetzt ab mit dir, Kriwa!«
Die Möwe warf Kai einen scharfen Blick zu und flatterte im nächsten Augenblick wieder in die Dunkelheit hinaus.
Eulertin wandte sich wieder seinem Schüler zu. »Du musst noch viel lernen, Kai. Im Übrigen glaubst du doch wohl nicht, dass die sechs Winde es so einfach hinnähmen, würden sie je herausfinden, dass wir sie betrügen ? Sie würden sich zu einem Orkan vereinen, dessen Zerstörungskraft jenseits deiner Vorstellungskraft liegt. Ihr Zorn wäre grenzenlos. Hast du schon einmal gesehen, wie ein Orkan eine Schneise der Verwüstung durch eine Stadt schlägt ? Auch von diesem Haus würden sie keinen Stein auf dem anderen lassen. Was mit uns beiden geschähe, muss ich dir sicherlich nicht erklären, oder?«
Kai schüttelte hastig den Kopf. Er musste zugeben, dass seine Frage reichlich dumm gewesen war. In den vergangenen Wochen hatte er genug erfahren und gelesen, um zu wissen, dass man die fremdartigen Mächte der Welt auch als Zauberer nicht ungestraft herausforderte.
War er denn jetzt ein Zauberer?
»Und was ist mit mir?«, fragte er ernüchtert. »Bin ich jetzt geheilt ? Kann ich meine Kräfte endlich benutzen, ohne ständig Angst davor haben zu müssen, dass sie mich überwältigen?«
»Ja und nein«, brummte Magister Eulertin und flog zu einer der Truhen, um daraus eine Schachtel mit Kreidestücken hervorschweben zu lassen. »Dieses Tier, Junge, lauert in jedem von uns. Die Zaubermacht ist eine gewaltige Urkraft, die die Welt in ihrem Innersten zusammenhält. Sie bindet die vier Elemente miteinander, ebenso wie den Äther um uns herum oder die Sphären, die die Welt umschließen. Uns unterscheidet von den anderen Sterblichen nur, dass uns die Fähigkeit gegeben ist, diese Macht zu formen und zu lenken. Deine ganze Ausbildung dient allein dem Zweck, dich die Willenskraft und die Techniken zu lehren, mit der du dieses Kunststück zuwege bringst. Nie darfst du vergessen, was das eigentliche Wesen der Zaubermacht ist.«
Kai nickte und lauschte konzentriert. Eulertin ließ nun eines der Kreidestücke über den Boden sausen. Dort entstand ein perfekter Kreis, den der Magier mit zwölf magischen Zeichen versah.
»Die Pforte«, fuhr der Magister fort, »die dich und mich von dieser Urkraft trennt, ist zerbrechlicher als du glaubst. Versuche dir einen Damm vorzustellen, hinter dem sich ein See staut. Und nun stell dir vor, diese Pforte sei ein Fluttor. Du kannst das Tor einen winzigen Spaltbreit aufziehen, dann kommt dir etwas von dem Wasser entgegen. Du kannst das Tor aber auch weit öffnen. Dann werden dir gewaltige Fluten entgegen strömen. Leider ist die Zauberkraft kein normaler See, sondern eine Macht, die ein befremdliches Eigenleben führt. Öffnest du das Tor zu weit, sei es nun willentlich oder unwillentlich, so wie es bei dir geschehen ist, wirst du es nicht mehr schließen können. Die Wasser werden versuchen, den Damm an dieser Stelle einzureißen. Dies ist eine der größten Gefahren für einen Zauberer.«
»Das bedeutet, ich darf nie jene Schwelle überschreiten, bei der ich diese
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