Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
schlugen dem Wind entgegen, erdrosselten die Stimmen ihrer Feinde und beschworen den Sturm herauf, der eingeschlossen in dieser Glut darauf gewartet hatte, von ihr gefunden zu werden. Tosend brach er über die Wipfel der Bäume herein, fegte die Asche in Schwaden durch die Luft und liebkoste ihren Körper, als hätte er Hände, die ihre Haut zu lange vermisst hatten. Sie konnte seine Stimme hören, tausendfach gebrochen, und als sie die Finger hinter seine Maske schob und die sich windende Dunkelheit näher an sich zog, fühlte sie seinen Atem an ihrem Hals, warm und schwer von der Fäulnis, die er mit sich trug. Sie breitete die Arme aus, und der Regen, der nun durch die Wolken brach, war kühl vom Gift, das sich über den Acker ergoss. Auf ihrer Haut jedoch wurde es zu leckenden Zungen, es fuhr über ihre Wangen, ihren Mund, und sie ließ ihre Wunden heilen von der Verkommenheit des Sturms und der Gier des Regens. Hingegeben legte sie den Kopf in den Nacken. Sie war zurückgekehrt, kein Schmerz durchpulste mehr ihren Körper, der nun wieder so unverwundbar und vollkommen war wie edelster Stein. Doch das war nicht genug. Die Göttin des Todes war in die Knie gezwungen worden – noch einmal würde das nicht geschehen.
Sie richtete sich auf, langsam, auch wenn die wiedergewonnene Kraft in ihren Gliedern sie dazu verleiten wollte, in dem Unwetter zu tanzen. Der Wille dieser beiden Mächte war stark, sie spürte das Aufbegehren, als sie ihren Plan erkannten. Doch sie ließ ihnen keine Wahl. Mit einer fließenden Bewegung hob sie die Hände und zerbrach die Glut darin zu schwarzem Wein. Glühend heiß rann er ihre Arme hinab, und sie trank von ihm, trank den Sturm, der um sie herum heulte, und den Regen, der sie aufgebracht umtoste, und während ihr Haar sich mit schwarzen Strähnen durchzog, fühlte sie die Macht der Höllenkreise, die sie sich einverleibte und die sie noch stärker machten, als sie es ohnehin schon war. Kurz nur traf sie ein Schmerz, als das Blut des Teufelssohns sich ihr verweigerte, aber sie roch seine Zweifel, seinen Mut, seine Einsamkeit, und sie konnte ihn vor sich sehen: erschrocken, atemlos und zugleich so entschlossen inmitten tanzender Schatten. Sie hielt sein Bild fest, doch nur für einen Moment. Dann ließ sie es gehen, packte den Geier im Flug und zerriss die Hyäne mit scharfen Klauen, und als sie die Arme in den Himmel riss und schrie, brach ihr Tiger aus ihrem Leib, schattenhaft wie ein Gedanke, und ließ sein Brüllen donnergleich durch die Dunkelheit hallen.
Erst als sich das weiche Fell des Tieres unter ihre Finger schob, merkte sie, dass sie die Augen geschlossen hielt. Noch immer fiel der Regen auf ihr Gesicht, aber er war nun sanft und ohne jede Forderung, und der Sturm schwieg in Erwartung ihrer Befehle. Langsam hob sie die Lider, der Flug des Geiers hatte sich als fahler Schleier über ihre Pupille gelegt und sie wusste, dass ein Blick ohne diesen Schutz genügen würde, um jedes Kloster und jeden lächerlichen Acker in ewiges Feuer zu hüllen. Für einen Moment wandte sie den Blick halb zurück. Die Schatten des Gebäudes griffen nach ihr, doch es waren keine wahren Schatten, und so drehte sie sich nicht zu ihnen um. Mit nicht mehr als einem Fingerzeig entfachte sie die Schreie der gefallenen Krieger der Nacht, und noch während sie sich hinter ihr erhoben und die Mauern in Stücke rissen, ging sie langsam auf den Wald zu.
Der Wind flüsterte in den Baumkronen. Er begann schon von ihr zu erzählen, als sie noch die Fährte der Engelskrieger las. Sie hatten mit der Jagd begonnen, doch sie waren ahnungslos. Ein leises Lächeln flog über ihr Gesicht, als sie die letzten Reste der Glut von ihren Fingern strich. Ja, die Sklaven des Lichts vermochten nicht zu erkennen, wo sie den Sohn des Teufels suchen sollten. Sie hingegen wusste es genau. Und so begab sie sich auf ihren Weg in die Schatten, gelassen wie eine Jägerin, die nur die Hand auszustrecken brauchte, um ihr Opfer an der Kehle zu packen.
Lautlos betrat sie den Wald, und kaum dass ihr bleicher Körper im Unterholz verschwand, legte sich das Chaos hinter ihr. Die Schergen der Hölle sanken nieder wie dunkle Träume, der Sturm erlosch und der Regen war bald schon nicht mehr als eine Erinnerung. Kymbra, die Schwinge der Ewigkeit, war über Aereson gekommen, und sie hatte getan, was in ihrer Natur lag. Nichts ließ sie hinter sich zurück als ein Feld aus Asche.
Über die Autorin
Autorenfoto: © privat
Gesa Schwartz
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