Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
sie in die Hölle zu führen, und die Unruhe, die Avartos bereits vor einer Weile rastlos ums Feuer getrieben hatte, ergriff nun auch von ihm Besitz. Der Engel hatte recht. Sie durften nicht länger an diesem Ort bleiben, sie mussten aufbrechen und sich auf den Weg machen in die Schatten. Doch vorher gab es noch etwas zu erledigen.
Carmenya griff nach den Flammen, die Funken stoben in die Höhe und zerrissen Nandos Gedanken. Raunend trugen sie eine Stimme an sein Ohr, und noch ehe sich die Silben zu Worten formten, sah er Hadros vor sich und hörte den alten Engel zu sich sprechen. Mit rätselhaftem Lächeln hatte er ihn angesehen, als er im Saal der Mönche vor Bhalvris gestanden hatte, und Nando hörte dieselben Worte, die er damals zu ihm gesprochen hatte. Noch gehört dieses Schwert nicht dir, doch ich werde dich lehren, es zu führen, und wenn du es auf deinem ersten Schlachtfeld auf dich prägst, wird es ein Teil von dir werden wie ein zweiter Herzschlag, der dich in den tiefsten Schatten beschützt. Dann, Menschensohn, wird dieses Schwert die Klinge Nandos sein.
»Sohn der Hölle«, sagte Carmenya. »Jäger der Schatten, Krieger des Lichts. Diese Schlacht ist geschlagen, und schon wieder drängt die Zeit. Die Feuer des Pandämoniums warten auf dich, und du wirst nicht zögern, deinen Weg in die Finsternis zu beschreiten. Doch zuvor sollst du erlangen, was dir zusteht. Bist du bereit, Nando, Kind der Menschen?«
Nando erwiderte ihren Blick. Ihre Augen wirkten in dem Schein der Flammen beinahe schwarz, und für einen Moment erkannte er ihren Vater in ihren Zügen und die Stärke der Engel, die in jeder seiner Gesten gelegen hatte. Er nickte. »Das bin ich«, erwiderte er mit fester Stimme.
»So übergib Bhalvris dem Feuer«, sagte sie ruhig, und als Nando ihrer Anweisung folgte, schmiegten sich die Flammen um die Waffe wie ein Wesen mit eigenem Willen. Carmenya griff in die Glut, nahm Nandos linke Hand und legte glühende Kohlestücke hinein. Wortlos schloss sie seine Finger darum, die Hitze drang durch die metallenen Streben und schmerzte ihn, ehe sie sich in Kälte verwandelte. »Höre auf deine innere Stimme«, fuhr Carmenya dann fort. »Betrachte Licht, betrachte Schatten, und gib dem Feuer einen Splitter deines Herzens.«
Nando spürte seinen Pulsschlag in den Schläfen. Die Mönche beobachteten ihn scheinbar gleichgültig aus dem Zwielicht jenseits des Feuers, aber er fühlte Avartos’ Anspannung so deutlich, als wäre es seine eigene, und Noemi schaute ihn aus sturmgrünen Augen an. Nur Kaya nickte ihm ruhig zu. Kurz erwiderte er ihren Blick, ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen. »Es war das Schwert des Erzengels Michael«, sagte er. »Und es war das Schwert des Teufels, ehe es von Hadros getragen wurde. Doch nun gehört es mir.«
Dann trat er neben das Schwert in die Glut. Sofort schossen die Flammen an ihm empor und nahmen ihm die Sicht. Sie waren eiskalt wie das Licht der Engel und die Glut in seiner Hand, aber er fühlte die Hitze der Dunkelheit zu seinen Füßen, und als er Bhalvris aufhob und das glühende Metall sich in sein Fleisch senkte, glitt die Kraft Kar’tas Imnirs durch seine Glieder wie ein Windstoß, der halb zerrissene Erinnerungen mit sich führte. In rasender Geschwindigkeit durchpulsten ihn die Mächte jener Schlacht, die diese Erde auf ewig in einen Acker aus Asche verwandelt hatte, und er konnte sie schmecken, die Gier der Dämonen und die Kälte der Engel, die hier aufeinandergestoßen waren. Nando schwankte, als giftiger Regen ihn traf, aufgepeitscht von der tödlichen Glut der Ewigen Steppe, und er hörte die tausend Stimmen wispern, als ihr Sturm ihm den Kopf in den Nacken riss.
Lächerlich , kreischten sie. In die Hölle hinabsteigen willst du und schwankst schon jetzt an dem Abgrund, den du ahnst! Den Weg des Lichts hast du verloren. Wie willst du der Finsternis standhalten, die dort auf dich wartet? Die Dunkelheit wird tiefer sein, viel tiefer, als du es dir vorstellen kannst!
Nando umfasste Bhalvris stärker und drängte die Stimmen zurück. Es gab mehr in dieser Waffe als sie! Mit aller Macht stürzte er sich vor in die Dämmerung, er fühlte Hitze und Eis auf seinen Wangen, das goldene Licht des Erzengels, die Verdorbenheit des Teufels, es war ein Tanz, in den er geschleudert wurde, und er brach durch die Bilder aus Nacht und Tag und fand den letzten Träger dieser Waffe – einen Engel, einen Helden, einen Vater. Er fand Hadros, Krieger des Lichts,
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