Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
werdet ihr euch noch größeren Gefahren gegenüberfinden.«
Seit Phelan gab es keinen stärkeren Magier, wiederholte Jaryd für sich die Worte des Eulenmeisters. Phelan, der Wolfsmeister, war das einzige Mitglied des Ordens gewesen, das sich je an ein anderes Tier als einen Falken oder eine Eule gebunden hatte. Phelans Macht und seine Heldentaten während des dritten und letzten Kriegs mit Abboriji waren legendär. Und nun hatte Theron Sartols Kraft mit der des Wolfsmeisters verglichen. Kein Wunder, dass Jessamyn und Peredur nicht im Stande gewesen waren, sich gegen Sartol zu wehren.
Alayna hatte offenbar in eine ähnliche Richtung gedacht. »Aber wenn Sartol so mächtig ist«, sagte sie verzweifelt, »wie kann dann irgendwer in Tobyn-Ser eine noch größere Gefahr darstellen?«
Wieder blieb der Eulenmeister stehen, und diesmal sah er Alayna so intensiv an, dass sie den Blick abwandte und sich verlegen das Haar zurückstrich. »Deine Frage zeigt die Kurzsichtigkeit des Ordens deutlicher, als ich euch je von mir aus hätte demonstrieren können«, erklärte er eindringlich. »Schaut über eure Grenzen hinaus. Damals, als ich in eurem Alter war, konnte der Orden es sich leisten, sein Blickfeld auf dieses Land zu beschränken. Aber die Welt hat sich verändert, selbst wenn das in Tobyn-Ser nicht der Fall ist. Wenn ihr diese Veränderungen ignoriert, bringt ihr euch nur in Gefahr.«
Jaryd war unwillkürlich aufgesprungen. »Willst du damit sagen«, fragte er, »dass diejenigen, die für diese Angriffe verantwortlich sind, nicht aus Tobyn-Ser stammen? Dass es Fremde waren?«
Theron sah ihn lange an. Dann nickte er.
Jaryd ging mehrere Schritte von dem umgestürzten Baum weg, auf dem er gesessen hatte, und starrte auf den See hinaus. Seine Gedanken überschlugen sich. Wellen, ausgehend vom Wasserfall, zogen sich über die Seeoberfläche und ließen das Sternenlicht, das vom Wasser reflektiert wurde, tanzen und glitzern. Fremde, Ausländer, dachte Jaryd und schüttelte ungläubig den Kopf. Daran hatte er nie zuvor gedacht - soweit er wusste, hatte das keiner von ihnen getan. Theron hatte vollkommen Recht. Er wollte den Eulenmeister fragen, woher die Angreifer kamen: aus Abboriji? Aus Lon-Ser? Vielleicht von einem Ort, von dem Jaryd überhaupt nichts wusste, nicht einmal den Namen. Aber er war sicher, dass Theron ihm das nicht verraten würde, zumindest jetzt noch nicht. Er wandte sich wieder dem Eulenmeister zu. »Warum tun sie das?«, fragte er. »Was wollen sie von uns?«
Der Geist schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht ganz sicher. Und selbst wenn ich es wäre, denke ich doch, dass ihr es selbst herausfinden solltet. Ich werde euch allerdings eins sagen: Ihre Taktik verrät gleichzeitig auch, worin ihre Schwächen bestehen - vereitelt ihre Pläne, und es könnte sein, dass ihr euch retten könnt.«
Jaryd schaute zu Alayna, deren bleiches Gesicht ihm deutlich machte, dass sie ebenfalls vollkommen entsetzt über Therons Enthüllungen war. Wieder zuckte sie die Achseln, und wieder wandte Jaryd sich an Theron. »Wir verstehen das nicht«, sagte er. »Was könnte die Taktik dieser Leute uns verraten?«
»Darüber müsst ihr eben ein wenig nachdenken«, erwiderte der Eulenmeister geheimnisvoll.
Alle drei schwiegen. Jaryd dachte daran, wie ironisch diese Situation war. Er hatte so viele Fragen gehabt, und dennoch, nun, da Theron sich bereit erklärt hatte, mit ihnen zu sprechen, fiel ihm keine mehr ein.
»Du sagtest, die anderen, die mit uns hergekommen sind, seien weg«, wagte Alayna sich schließlich wieder vor. »Sind sie zurückgekehrt nach Am- ... Haben sie sich auf den Rückweg zur Großen Halle gemacht?«
»Ich habe nie gesagt, dass alle weg wären«, erwiderte Theron. »Nur der Verräter. Einer ist noch da.«
»Wer?«, fragte Alayna besorgt.
»Ich kenne seinen Namen nicht. Er hat dunkle Haut, dunkles Haar und einen braunen Vogel.«
»Trahn!«, rief Jaryd. »Er ist ein Freund von uns«, fügte er erklärend hinzu.
»Woher wissen wir das?«, fragte Alayna.
Jaryd sah sie vorwurfsvoll an. »Selbstverständlich ist Trahn ein Freund. Baden kennt ihn seit Jahren.«
»Vor ein paar Tagen hätte ich dasselbe über Sartol gesagt«, erklärte sie. »Wir können einfach nicht sicher sein, Jaryd.« »Können wir doch.« Er wandte sich Hilfe suchend an Theron. »Ich habe doch Recht, oder? Wir können Trahn vertrauen.«
Der Eulenmeister machte eine abwägende Geste. »Ich kann nicht in die Herzen der Menschen
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