Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
anschaute. Als er ihr in die Augen sah, erkannte er, dass sie ähnliche Zweifel hegte. Also kamen sie stillschweigend überein, dass sie Theron jetzt noch einmal für seine Hilfe danken und dann gehen würden.
Der Eulenmeister überraschte sie jedoch. »Ich habe viele von euren Fragen beantwortet«, sagte er. »Und nun habe ich selbst ein paar.« Er zögerte. »Ich kann in meinem Visionen einiges von dem erkennen, was in diesem Land geschieht«, erklärte er ein wenig verlegen, »aber ich weiß nicht viel darüber, wie es wirklich ist, in der heutigen Welt zu leben. Es würde mich ... interessieren, was ihr mir darüber erzählen könnt.«
Die jungen Leute lächelten und wechselten einen Blick. »Wir erzählen dir gern alles, was du wissen möchtest, Eulenmeister«, erwiderte Alayna.
Und so saßen sie am See, in dessen Oberfläche sich die Sterne spiegelten, in dem weichen, grünen Leuchten, das von dem unbehausten Geist ausging, und sie beantworteten Therons Fragen mit Geschichten von ihren Dörfern, ihren Familien, ihrer Jugend. Mehrere Stunden lang unterhielten sich die drei, bis der abnehmende Mond groß und orangefarben über den Bäumen im Osten aufging. Als Theron dies bemerkte und erkannte, wie viel Zeit vergangen war, sah er seine Gäste mit einer Miene an, die, wie Jaryd dachte, einen Hauch von Bedauern verriet.
»Es wird spät«, sagte Theron leise. »Ihr werdet schon im Morgengrauen aufbrechen wollen, und ihr habt einen langen Ritt vor euch.«
Jaryd und Alayna erhoben sich. »Dieser Abend war wichtiger, als sich auszuruhen, Eulenmeister«, erklärte Alayna. »Wir haben das Gespräch mit dir sehr genossen.« »Das ... das freut mich zu hören«, entgegnete der Geist und wich ihren Blicken aus. »Ihr könnt hier schlafen, oder ich kann euch zu der Stelle zurückbringen, an der ihr letzte Nacht geschlafen habt«, wechselte er das Thema. »Ganz wie ihr wollt.«
»Wir werden hier bleiben«, sagte Jaryd.
»Also gut.« Der Geist drehte sich um und wollte gehen, aber dann hielt er inne und sah die Magier noch einmal an. »Es könnte sein, dass ihr mich wieder braucht«, sagte er. »Ich werde euch etwas hinterlassen, was euch helfen wird, euch mit mir in Verbindung zu setzen, falls das notwendig werden sollte. Ihr werdet es morgen früh finden.« »Danke, Eulenmeister«, antwortete Jaryd. »Wir danken dir für deine Hilfe. Leb wohl.«
Theron nickte und ging weiter. »Lebt wohl, Falkenmagier«, rief er über seine Schulter. »Möge Arick euch leiten.« Jaryd und Alayna beobachteten, wie das Leuchten, das den Eulenmeister umgab, im Wald verschwand. Erst als das smaragdgrüne Licht vollkommen verschwunden war, legten sie sich ins Gras am Seeufer, um zu schlafen. Jaryd hörte bald, wie Alaynas Atemzüge einen langsamen, regelmäßigen Rhythmus annahmen, aber er blieb noch lange wach, blickte zu den Sternen auf und lauschte der Musik des Wasserfalls.
Sie erwachten im ersten Morgenlicht und entdeckten staunend, was Theron ihnen hinterlassen hatte: Im Gras zu Jaryds Füßen lag der Stab des Eulenmeisters, seine Spitze verkohlt und zersplittert, der Schaft kunstvoll mit Runen in Mirel, der uralten Sprache, verziert.
»Wie ist das möglich?«, flüsterte Alayna staunend. Jaryd schüttelte den Kopf, als er den Stab aufhob und ihn sich näher ansah. Er fühlte sich ungewöhnlich leicht an, aber davon einmal abgesehen unterschied er sich nicht von jedem anderen Holzstab, obwohl Jaryd das wirklich nicht begreifen konnte. »Ich weiß es nicht«, hauchte er schließlich. »Er sagte, er sei die Macht selbst, reiner Ausdruck von Magie. Und es war sein eigener Fluch.« Wieder schüttelte er den Kopf und schaute dabei immer noch den Stab an. »Ich weiß es nicht«, wiederholte er.
Schließlich standen sie auf, und nach einem kurzen Bad im See riefen sie ihre Falken und machten sich auf zum Westrand des Hains. Der Weg kostete sie nicht allzu viel Zeit, aber als sie unter den Bäumen hervorkamen, wärmte die Sonne bereits die grasbewachsene Lichtung.
Sobald sie den Hain verlassen hatten, hörten sie auch schon Trahn, der ihnen etwas zurief. Sie spähten zum Lager hin und sahen, wie der Falkenmagier mit erleichtertem Grinsen auf sie zueilte.
»Jaryd! Alayna!«, rief er erfreut. »Bei den Göttern, es ist wirklich schön, euch wiederzusehen!«
»Bleib stehen, Trahn!«, warnte Alayna ihn barsch, als er näher kam.
Sein Lächeln erlosch, und er blieb stehen. »Es tut uns Leid, Trahn«, erklärte Jaryd sachlich, »aber nach
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