Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
Nachdem sie Orris' Sachen aufgelesen hatten, aßen sie noch etwas und zogen dann weiter. Wieder folgten sie dem Fluss nach Süden, und trotz des späten Aufbruchs schafften sie noch beinahe vier Meilen, bevor es dunkel wurde. Am nächsten Tag wandten sie sich nach Westen, überquerten den Fluss an einer relativ flachen Stelle und gingen dann über das trockene Land zu einer Gruppe von Pyramidenpappeln, die Orris vom Ufer aus gesehen hatte. Dort fanden sie, wie der Magier gehofft hatte, eine Quelle, an der sie ihre Wasservorräte auffrischen konnten, die Orris in einem alten Weinschlauch bei sich trug. Und während der folgenden Tage folgten die Reisenden einem Weg, der sie von einer Oase zur nächsten führte. Wenn sie keine am Horizont erkennen konnten, zogen sie schnurgerade nach Westen weiter, rationierten ihr Wasser und suchten stetig weiter nach den niedrigen Bäumen, die auf die nächsten Quelle hinwiesen.
Spät am Nachmittag des achten Tages nach dem Vorfall am Fluss konnten sie die Seeberge erkennen. Sobald sie die Ausläufer erreicht hatten, fanden sie häufiger Wasser. Obwohl der Osthang der Seeberge karger war als die Westseite, flössen genügend Bäche von den Bergen herab, dass Orris' Weinschlauch stets voll war.
In den Ausläufern des Gebirges wandten sich die Reisenden nach Süden und folgten der Bergkette. Orris wollte das Gebirge unbedingt überqueren, bevor es kalt wurde, aber er wollte es weiter südlich tun, vor der Südbucht und dem Unteren Horn, die zu den am dichtesten bevölkerten Regionen von Tobyn-Ser gehörten. Seit ihrem Gespräch am Fluss war Barams Verhalten weniger seltsam gewesen. Sie hätten sich vielleicht auch durch bewohntes Gebiet bewegen können, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen, und sie würden es bald einmal wagen müssen, denn sie brauchten mehr Vorräte, und Barams Kleidung sah zu dünn und fadenscheinig aus, als dass sie den Fremden gegen kaltes Wetter schützen konnte. Sie mussten ein Dorf oder zumindest einen Hausierer finden, und sobald sie Ducleas Tränen hinter sich gelassen hatten, würde es dazu nicht mehr viele Möglichkeiten geben. Orris war allerdings noch nicht bereit, es zu riskieren.
Also blieben sie noch am Osthang des Gebirges und zogen zehn Tage lang nach Süden weiter, bis Orris überzeugt war, dass sie weit genug vom unteren Strand der Südbucht entfernt waren. Erst dann wandten sie sich wieder nach Westen und begannen mit dem steilen Aufstieg ins Gebirge. Während sie höher in die Berge kamen und sich nach einem Pass umsahen, der sie durch den Irrgarten der gletscherbedeckten Gipfel führen würde, wurde es kälter. Die Wiesen waren immer noch mit Blumen übersät, aber einige Espen und Ahornbäume hatten bereits begonnen, sich golden und orangerot zu verfärben. Noch vierzehn Tage, dachte Orris, und wir hätten im Schnee festgesteckt. Der Wind, der aus Nordwesten kam, erschien ihm ungewöhnlich kalt für diese Jahreszeit. Es würde einen harten Winter geben.
An ihrem neunten Tag im Hochland begann es zu schneien, aber zu diesem Zeitpunkt hatten die Wanderer bereits den schwierigsten Teil des Berglandes hinter sich gelassen und mit dem langsamen Abstieg zu Ducleas Tränen begonnen, der Gruppe von Flüssen und Bächen, die aus den Bergen zum Meer strömten. Sie kamen nun rasch weiter, beinahe so schnell, als wäre Orris alleine gewesen. Es hatte den gesamten Sommer und mehr Anstrengung gekostet, als er sich jemals hätte vorstellen können, aber sie hatten schließlich einen Rhythmus gefunden, der sie mit einem Minimum an Konflikten und Verzögerungen durch den Tag brachte. Und was, wie Orris dachte, als sie durch den Schnee stapften, noch wichtiger war: Er glaubte nun, dass sie den Dschungel der Lon-Tobyn-Landenge noch vor Beginn des Winters erreichen würden.
Sie hatten beinahe vierhundert Meilen hinter sich gebracht, und er nahm an, dass mindestens noch einmal so viele vor ihnen lagen, bevor sie die großen Nals von Lon-Ser erreichten. Aber in gewisser Weise hatte Orris das Gefühl, dass sein Weg gerade erst begonnen hatte. Tobyn-Ser zu durchqueren war eine Sache, aber nun würden sie seine Heimat hinter sich lassen. Und er wusste nichts weiter über Lon-Ser als das, was er von Baden erfahren hatte. Bis jetzt war er Barams Führer und Beschützer gewesen. Aber das würde sich nun ändern. Bald schon würde jede Meile, die sie zurücklegten, ihn dazu zwingen, sich mehr auf den Fremden und ihre unfreiwillige Partnerschaft zu verlassen.
Bei
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