Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
unter Ligamitgliedern werden von jenen Mitgliedern der Liga geschlichtet, die nicht in den fraglichen Streit verwickelt sind.«
Zusätzlich ergänzen wir hiermit Amarids Gesetze durch eine fünfte Regel, die folgendermaßen lautet: »Magier der Liga sollen, wenn möglich, davon absehen, ihre Macht gegen andere Magier einzusetzen. Falls Magier der Liga jedoch feststellen, dass sie bei der Einhaltung ihres Schwurs, das Land zu schützen, gegen andere Magier vorgehen müssen, sollten sie dies mit Zurückhaltung und in einer Weise tun, die das Volk von Tobyn-Ser möglichst keinerlei Gefahren aussetzt.«
Aus Artikel zwei der »Satzung der Liga von Amarid«, niedergeschrieben beim Ersten Konklave der Liga von Amarid, im Frühjahr des Gottesjahres 4626.
Das Wetter blieb während der ganzen Zeit, die sie auf der Landenge verbrachten, mild, und das gestattete es Orris und Anizir, rasch voranzukommen. Die schweren nachmittäglichen Regenfälle versorgten die Reisenden mit genügend Wasser und brachten erfreuliche Abkühlung, aber Orris folgte dennoch lieber der gewundenen Küstenlinie der Landbrücke, statt sich der Sommerhitze im Dschungel auszusetzen. Obwohl dies seinen Weg länger machte und obwohl Orris so versessen darauf war, bald nach Tobyn-Ser zurückzukehren, genossen der Magier und sein Falke diese Wanderung. Befreit von den bedrückenden Schatten und der übel riechenden Luft der Nals freute sich Orris über den Duft von Aricks Meer und das Gefühl der Sonne auf seiner Haut. Anizir jagte und flog mit einer Begeisterung, die Orris noch nie zuvor bei ihr erlebt hatte, und obwohl der Magier auch einiges von dem langweiligen Essen zu sich nahm, das Melyor ihm mitgegeben hatte, lebten er und sein Vogel für gewöhnlich von den Enten und anderen Vögeln, die Anizir von ihren kurzen Ausflügen in den Dschungel oder zum Wasser zurückbrachte.
Nachts, wenn er neben seinem Treibholzfeuer saß, dachte der Magier an Melyor, fragte sich, ob sie Gwilyms Siedlung wohl inzwischen gefunden hatte, und versuchte sich vorzustellen, was es bedeutete, Herrscher eines gesamten Nal zu sein. Er bedauerte es nicht, Lon-Ser verlassen zu haben, aber er wusste, dass es einige Zeit dauern würde, bis er eine andere Frau ansehen konnte, ohne an Melyor zu denken.
Sie erreichten das östliche Ende der Landenge im Frühherbst, als bereits kühlere Winde von Norden her einsetzten. Glücklich, wieder in seiner Heimat zu sein, wandte sich der Magier nach Norden, in den Wald von Ducleas Tränen, und beschleunigte sein Tempo. Nun wollte er unbedingt bald zu Jaiyd, Alayna und seinen anderen Freunden gelangen, und er lechzte nach Nachrichten vom Orden.
Er hielt sich an die Westseite der Seeberge und war zwei weitere Tage unterwegs, bevor er auf die erste Ansiedlung stieß. Es war ein kleines Dorf, das sich direkt am Ansatz des Unteren Horns an einen schmalen Bach schmiegte. Als Orris sich den kleinen Holzhäusern näherte, konnte er den Rauch der Kochfeuer riechen. Auf der andern Seite des Bachs befand sich eine Lichtung mit dem Gemeinschaftsgarten, und er hörte in der Ferne den Klang eines Schmiedehammers. Mehrere Leute waren auf dem Dorfplatz unterwegs, aber zunächst bemerkte ihn niemand. Orris lächelte und beschleunigte seine Schritte. Er war zu Hause. Er kannte nicht einmal den Namen dieses Dorfes, aber er war zu Hause.
Und dennoch, als er an den ersten Häusern vorbeikam, bemerkte er etwas, das ihn innehalten ließ. Ein rechteckiges, schlichtes blaues Tuch hing über der Tür eines jeden Hauses und wehte leicht im Wind. Als Orris zum Dorfplatz schaute, sah er, dass auch am höchsten Turm des Aricktempels ein solches Tuch hing. Es war von demselben Blau wie die anderen und ebenfalls rechteckig, aber viel größer als die an den Häusern.
Orris spürte plötzlich, wie sich sein Magen unerklärlicherweise zusammenzog, und er wünschte sich nicht zum ersten Mal, seit er Bragor-Nal verlassen hatte, dass er einen Ceryll auf seinem Stab hätte. Anizir, die seine Unruhe spürte, stieß einen leisen Ruf aus. Orris kraulte ihr zerstreut das Kinn.
Alles in Ordnung, sandte er ihr instinktiv, aber er selbst war ganz und gar nicht überzeugt davon. Er ging weiter, bewegte sich aber ein wenig vorsichtiger.
Er hatte nur ein paar Schritte zurückgelegt, als einer der Dorfbewohner ihn sah und den anderen etwas zurief. Sofort bildete sich eine Menschenmenge. Eine Frau in einem silbergrauen Gewand kam aus dem Tempel und sprach kurz mit den Dorfbewohnern,
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