Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
die Umhänge haben die Jahrhunderte nicht überstanden. Aber mehrere Stäbe und Steine sind geblieben. Sie gehen von einem Steinträger im Dhaalmar zum nächsten über.«
»Hat der Stein immer dieselbe Farbe?«
Melyor fragte Gwilym, der den Kopf schüttelte und eine Antwort gab. »Er sagt, als der Stein seinem Vater gehörte, war er grün. Als er ihn übernahm, wurde er braun.«
»Also ist er an den Stein gebunden!«, sagte Orris kaum lauter als im Flüsterton.
Die Frau schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.« »Als Magier bin ich an meinen Ceryll ebenso wie an meinen Vogel gebunden«, sagte Orris. »Der Ceryll gestattet mir, meine Macht zu konzentrieren, sie zu beherrschen. Er ist auf mich eingestimmt; niemand sonst kann ihn auf diese Weise benutzen.« Melyor starrte ihn verständnislos an, und er fuhr sich über die Stirn. »Als ich meinen Stein fand, war er klar wie Glas. Erst als ich ihn in die Hand nahm, bekam er diese Bernsteinfarbe. Wenn ein anderer Magier ihn genommen hätte, hätte er eine andere Farbe bekommen. Solange ich lebe, wird dieser Stein bernsteinfarben sein, und er wird auf meine Macht eingestellt sein.« Melyor kniff die Augen zusammen. »Willst du damit sagen, dass die Steinträger über Magie verfügen?«
»Nicht unbedingt. Aber es gibt zweifellos einen Rest von Gildris Macht in Gwilyms Blut. Ansonsten würde sein Stein nicht leuchten.« Er sah sie einen Moment lang schweigend an, und er konnte ihrer Miene entnehmen, dass sie dasselbe dachte wie er. »Ebenso wie in deinem Blut«, sagte er schließlich.
Sie nickte. »Ich weiß.«
Gwilym stellte eine Frage, und sie sprachen eine Weile miteinander.
»Er wollte wissen, was wir gesprochen haben«, erklärte sie. »Im Dhalmaar heißt es, dass er mit dem Stein verbunden ist, und sie sind sich bewusst, dass es sich dabei um das Erbe Gildris und der anderen handelt.«
Orris sah Gwilym an und nickte. Der kahlköpfige Mann starrte ihn forschend an, regte sich aber nicht.
»Er hat auch eine Frage an dich«, fuhr Melyor fort. »Er möchte wissen, welchen Platz Gildri in der Geschichte deines Landes einnimmt.«
Der Magier stieß einen leisen Pfiff aus. Diese Frage hatte er befürchtet, seit ihm klar geworden war, dass Gwilyms Volk mit Gildri zu tun hatte. »Das ist keine einfache Geschichte«, sagte er. »Es wird ihm vielleicht nicht gefallen, was ich zu sagen habe.«
Melyor leitete das an Gwilym weiter, der eine sehr ernste Antwort gab.
»Das ist ihm egal. Er möchte es wissen.«
»Also gut«, sagte der Magier. Und unter einem Nachthimmel voller Sterne, die einerseits vertraut waren und sich andererseits von denen über Tobyn-Ser unterschieden, erzählte Orris seinen Begleitern die Geschichte von Amarid und Theron: Wie sie einander als junge Männer begegnet waren, die man aus ihren Dörfern ausgestoßen hatte, weil sie über seltsame, finstere Magie verfügten, und wie sich die beiden angefreundet hatten, als sie feststellten, dass sie unter der gleichen Einsamkeit litten und von den Göttern mit dem gleichen zweischneidigen Geschenk bedacht worden waren. Er erzählte davon, wie die Freundschaft der beiden tiefer wurde und wie sie bei ihren Wanderungen durchs Land andere trafen, die sich ebenfalls an Falken gebunden hatten, und wie die beiden Freunde diese anderen Magier zusammengebracht und den Orden gegründet hatten. Und Orris erzählte Melyor und dem Steinträger von dem Verfall der Freundschaft zwischen Amarid und Theron, der mit Amarids Heirat mit Dacia begann und mit jedem Streit über die Zukunft des Ordens und die Rolle, die er bei der Regierung von Tobyn-Ser spielen sollte, schlimmer wurde. Schließlich erzählte Orris ihnen von Therons Verbrechen gegen einen Rivalen um eine Frau und von dem Fluch, den der Erste Eulenmeister ausgesprochen hatte, um sich dem Todesurteil zu widersetzen, das der Orden als Strafe für seine Taten über ihn verhängt hatte.
Orris erzählte seine Geschichte in Abschnitten von jeweils ein paar Sätzen und hielt oft inne, damit Melyor es Gwilym übersetzen konnte. Und der abwechselnde Klang ihrer Stimmen verlieh der alten Geschichte eine seltsame, eindringliche Kadenz. Es war still geworden, selbst der Wind regte sich nicht mehr, und es war, als lauschten selbst die Berge.
»Nach Therons Prozess und Tod«, schloss der Magier, während die glühenden roten Kohlen ihres Feuers eine dünne Rauchfahne in den Nachhimmel entsandten, »traten mehrere seiner Anhänger, angeführt von Gildri, aus dem
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