Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
hatte ich keine Vertraute mehr. Das meinen wir Magier, wenn wir von >ungebunden< sprechen.« Melyor nickte.
»Während dieser Zeit«, fuhr Orris fort, »fiel es mir schwerer, meine eigenen Gedanken zu ordnen, als zuvor. Man gewöhnt sich derart daran, zwei Reihen von Gedanken im Kopf zu haben, dass es einem am Ende so natürlich wie das Atmen vorkommt.«
»Und sie nimmt auch deine Gedanken wahr?«
»Ja.«
Melyor sah ihn skeptisch an.
Der Magier grinste. »Du glaubst mir nicht.«
»Du hast selbst gesagt, dass Vögel keine Sprache benutzen wie wir. Ich habe versucht, in den vergangenen Tagen mit zwei Sprachen zu leben, und es ist schwer, alles im Kopf übersetzen zu müssen. Es wäre noch schwerer zu tun, was sie angeblich tut.«
»Du magst Recht haben«, entgegnete Orris, »aber sie tut es dennoch. Sie hat mir Bilder meiner eigenen Gedanken gezeigt. Sie reagiert auf meine Gedanken, als wären es Worte: Ich kann sie bitten, bestimmte Dinge zu tun; ich kann sie beruhigen, wenn sie sich aufregt.«
»Aber wie ist das möglich?«, hakte Melyor nach.
»Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Vielleicht, weil unsere Gedanken als Emotionen, Bilder oder Wünsche beginnen, die wir dann erst in Sprache übersetzen.« Er zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht,« sagte er erneut. »Aber meine Gedanken sind ebenso Teil ihres Bewusstseins, wie die ihren Teil des meinen sind. Davon bin ich überzeugt.« Melyor setzte dazu an, mehr zu sagen, aber in diesem Augenblick kehrte Gwilym zum Feuer zurück und sprach kurz und sehr nervös mir ihr. Als er fertig war, stellte sie ihm mehrere Fragen und schien plötzlich ebenfalls beunruhigt zu sein.
»Was ist los?«, wollte Orris wissen.
Melyor und der Steinträger redeten noch einen Moment miteinander, bevor die Frau Orris wieder ansah. Sie wirkte im trüben Licht des niederbrennenden Feuers und der beiden Kristalle blass. »Gwilym befürchtet, dass uns jemand folgt. Er ist zu einem Vorsprung nicht weit von hier gegangen, und von dort aus konnte er etwas sehen, was er für das Licht eines kleinen Lagerfeuers am Fuß des Berges hält.« »Aber das könnten auch andere sein, oder?«
»Eigentlich nicht«, sagte Melyor. »Nur sehr wenige verlassen je das Nal. Ich habe den Steinträger gefragt, ob es vielleicht die Gildriiten sind, die uns geholfen haben zu fliehen, aber er sagt, die Gildriiten, die ihm geholfen haben, als er nach Bragor-Nal kam, haben keine Feuer entzündet, damit sie nicht von den SiHerr entdeckt werden. Und so weit im Osten gibt es auch keine Bergarbeiter.« Sie hielt inne und starrte kläglich ihre nackten Füße an. »Der Steinträger denkt, wir sollten jetzt gehen und so lang weiterziehen, wie wir können.«
»Und was denkst du?«, fragte Orris.
Sie kaute ein paar Sekunden auf der Unterlippe. »Ich habe genug vom Davonlaufen«, sagte sie. »Wir sollten hier kämpfen. Wir sind im Vorteil. Sie sind unten, wir oben.« »Hast du das dem Steinträger gesagt?«
»Ja.«
»Und was hat er geantwortet?«
»Er will nicht kämpfen. Er sagt, wir können nicht wissen, wie viele es sind.«
»Er hat Recht«, sagte Orris. »Deine Waffe und meine Magie werden vielleicht nicht ausreichen.«
Orris konnte die Unsicherheit in ihrem Blick erkennen, und wieder begriff er, wie schwierig das alles für sie sein musste. Nur ein paar Tage zuvor war sie ein Nal-Lord gewesen, und nun wurde sie durch die Berge gejagt wie ein Tier. Er hätte sie gerne getröstet, aber er wusste nicht, wie. Trotz ihrer Fortschritte wurden sie beide in solchen Situationen immer noch schnell verlegen.
»Es ist zu dunkel«, sagte sie schließlich. »Wir können nachts nicht weiterziehen. Wir haben keine Lampen.«
Ohne jede Anstrengung ließ Orris seinen bernsteinfarbenen Kristall aufleuchten, hielt ihn dabei aber dicht an den Körper, so dass eventuelle Verfolger das Licht nicht sehen würden. »Das ist kein Problem«, sagte er mit einem draufgängerischen Grinsen. »Solange ich den Stein dicht am Boden halte, sollte ich im Stande sein, uns den Weg zu beleuchten, ohne dass sie darauf aufmerksam werden.« Auch Gwilym grinste und nickte begeistert.
Melyor sah von einem zum anderen. »Also gut«, meinte sie schließlich grimmig und griff nach ihren Stiefeln. »Wir gehen.« Sie versuchte, die zerrissenen, blutigen Strümpfe wieder anzuziehen, überlegte es sich dann aber anders. Sie warf sie ins Feuer und zog die Stiefel über die nackten Füße. »Du kannst mich ja wieder heilen, nicht wahr?«, sagte sie zu
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