Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
etwas Schlimmes?«
»Nein, ganz und gar nicht«, sagte Jaryd.
»Bedeutet es, dass ich einmal Magierin sein werde?«
Jaryd musste ein Lachen unterdrücken.
»Ich wäre sehr überrascht, wenn es anders käme«, erklärte Alayna, den Blick immer noch auf Jaryd gerichtet. »Ebenso wie jeder andere in Tobyn-Ser.«
Nun musste Jaryd doch lachen. Noch bevor Myn laufen konnte, hatten Orris und Baden erklärt, sie würde bestimmt einmal Eulenweise werden, und obwohl Jaryd und Alayna entschlossen waren, Myn ihren eigenen Weg finden zu lassen, bezweifelte keiner von ihnen, dass sie sich eines Tages an einen Vogel binden würde, wahrscheinlich an einen von Amarids Falken, wie schon ihre Eltern vor ihr. Die Frage war nur: Würde sie sich dem Orden oder der Liga anschließen? Jaryd konnte nicht einmal sicher sein, ob beide Organisationen von Magiern noch existieren würden, wenn Myn alt genug wäre, diese Wahl zu treffen. Er schüttelte den Kopf. Das war eine Richtung, in die er lieber nicht weiterdenken wollte.
»Gut«, sagte Myn. »ich möchte nämlich Magierin werden. Ich gehe gerne nach Amarid.«
»Da bin ich aber froh«, sagte Alayna und griff nach dem Messer, um sich ein Stück Brot abzuscheiden. »Uns gefällt es nämlich auch.«
»Deshalb freue ich mich heute auch so.«
Alayna drehte sich um und sah Myn an, das Messer noch in der Hand. »Wie meinst du das, Myn-Myn?«
»Ich freue mich, weil wir bald nach Amarid gehen werden.« »Nein, Liebes«, sagte Jaryd sanft. »Es ist immer noch Winter. Die Versammlung wird erst im Sommer sein.«
Myn lächelte ihn an, als wäre er das Kind und sie erwachsen. »Das weiß ich doch. Wir gehen aber trotzdem.«
Alayna ging zu ihrer Tochter, hockte sich vor sie hin und schaute Myn in die Augen. »Wie kommst du darauf, dass wir nach Amarid gehen werden, Myn?«
»Ich habe es im Traum gesehen.«
Alayna warf Jaryd einen Blick zu, und dann zwang sie sich zu einem Lächeln. »Es gibt verschiedene Arten von Träumen, Myn-Myn. Dein Papa und ich haben dir doch erklärt -«
»Es war ein Wahrtraum, Mama«, sagte Myn ernst. »Ich bin ganz sicher.«
Jaryd holte tief Luft. Myns Blick war im vergangenen Jahr sehr viel stärker geworden. Er und Alayna hatten gelernt, sich beinahe so sehr auf die Visionen ihrer Tochter zu verlassen wie auf ihre eigenen. Er hatte keine Ahnung, was der Grund für eine so plötzliche Reise nach Amarid sein sollte, aber er bezweifelte nicht, dass sie sich schon bald auf den Weg machen würden. »Wie bald, Liebes?«, fragte er. »Wann, glaubst du, werden wir aufbrechen?«
Myn sah ihn an und runzelte konzentriert die Stirn. »Morgen, denke ich«, sagte sie schließlich. »Vielleicht auch erst übermorgen.«
Wieder sah er Alayna an und fand seine eigene Besorgnis in ihrer Miene gespiegelt. Was war geschehen? Was sollte den Eulenweisen Radomil dazu veranlassen, die Magier des Ordens zu einer Versammlung nach Amarid zu rufen? War etwa Radomil selbst etwas zugestoßen? War er krank geworden oder gestorben? Jaryd schaute seinen Stab an, der nahe der Tür ihres kleinen Heims an der Wand lehnte. Der saphirblaue Stein, der oben auf der Spitze des uralten, versengten Holzes angebracht war, leuchtete immer noch stetig. Weder Radomil noch Mered, der Erste des Weisen, hatte den Rufstein geweckt. Wenn einer von ihnen das tun würde, würde Jaryds Stein ebenso wie der jedes anderen Magiers in Tobyn-Ser zu blinken beginnen.
»Wir haben immer noch Zeit«, sagte Alayna, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Wir sollten vielleicht Narelle Bescheid sagen.«
Jaryd nickte. Narelle war das Oberhaupt des Stadtrates von Lastri, des nächstgelegenen Städtchens an der Küste. Oder genauer gesagt, des nächstgelegenen Städtchens, das dem Orden treu geblieben war und nicht die Dienste von Ligamagiern bevorzugte. Narelle würde informiert werden müssen, dass Jaryd und Alayna sich nach Amarid aufmachten, denn Lastri und die anderen Ortschaften würden dann eine Weile auf die Dienste der Magier verzichten müssen.
»Ich werde gehen und es ihr sagen«, erklärte Jaryd. »Und ich bringe auch ein paar Vorräte mit. Du und Myn, ihr könnt inzwischen schon anfangen zu packen.«
Alayna seufzte. »Also gut«, sagte sie. »Das hätte ich wirklich nicht erwartet.«
»Ich weiß. Ich auch nicht.«
»Es tut mir Leid«, sagte Myn mit bebender Stimme. Jaryd und Alayna schauten sie beide an.
»Was denn, Liebes?«, fragte Jaryd.
Myn zuckte die Achseln und weigerte sich, ihn anzusehen. Eine
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