Die Chroniken von Araluen - Der Krieger der Nacht: Band 5 (German Edition)
»Glaubt mir, ich habe ihn wirklich gesehen. Es war zwar nur ein kurzer Augenblick, aber er war da.«
»Und wer ist das?«, fragte Will.
»Das weiß niemand. Aber ich habe ihn gesehen. Er ist riesig. Ein Krieger in Rüstung, so groß wie zwei Häuser. Und man kann durch ihn hindurchsehen. Er ist da, und dann ist er fort, bevor du sicher bist, ob du ihn wirklich gesehen hast. Aber ich weiß genau, dass ich ihn gesehen
habe.« Er sah sich in der Wirtsstube um, ob einer es wagte, ihm zu widersprechen.
»Das reicht jetzt aber mit diesem Gerede, Barney«, mischte der Wirt sich ein. »Die Leute müssen heute Nacht noch nach Hause laufen, und es ist am besten, über diese Dinge gar nicht zu reden.«
Will schloss daraus, dass er heute Nacht nicht mehr erfahren würde. Er zupfte einen Ton auf der Mandola.
»Also gut, es ist dann vielleicht nicht die richtige Gelegenheit, von Zauberern zu singen. Vielleicht sollten wir den Abend lieber anders beenden. Was sagst du, Schatz?«
Auf dieses Wort hin fing die Hündin an zu bellen und sofort löste sich die bedrückte Stimmung auf.
»Was heißt das, Lilofee ? Du stimmst mir zu? Tja, dann fangen wir doch gleich mal an.«
»Ein Mädchen hatte einen Schatz,
gab ihm täglich einen Schmatz,
einer hält nicht lange her
Küsse gibt’s wie Sand am Meer.
Ihrem Schatz war’s nicht genug,
er nach mehr Verlangen trug,
Mädchen, halt dein Mündchen her,
küss mich täglich etwas mehr.
Doch sie war ein launisch Ding,
schätzte ihren Schatz gering,
sagte, ich hab kein Begehr,
küss dich von nun an gar nicht mehr.«
Gelächter brandete in der Stube auf, als die Hündin, jedes Mal wenn das Wort Schatz fiel, mit ihrem Bellen ins Lied einstimmte.
Auf Schloss Araluen würde das nicht reichen, dachte Will, aber hier hat es jedenfalls geklappt.
D er Wind legte sich irgendwann vor dem Morgengrauen, als hätte er seine Aufgabe getan, indem er die Wolken vom Himmel vertrieb. Der nächste Tag dämmerte, und als Will sich in der kleinen Kammer regte, die der Wirt ihm zugewiesen hatte, funkelte das Licht der Morgensonne bereits auf der Schneedecke.
Die Sonnenstrahlen fielen in den Schankraum, als Will den Wirt bei einer Tasse Kaffee begrüßte. Das Küchenmädchen hatte ihm ein Frühstück mit Brot und Speck gebracht, aber zum Wachwerden brauchte er vor allem Kaffee.
Der Wirt setzte sich selbst mit einer Tasse Kaffee zu Will an den Tisch. »War ein guter Abend gestern«, sagte er, und in seinen Worten lag eine unausgesprochene Frage.
Will nickte. »Für uns beide, denke ich«, antwortete er. Es herrschte einen Moment lang Stille, während der Wirt wartete, ob Will noch etwas sagen würde. Schließlich streckte er die Hand über den Tisch aus. »Cullum Gelderris ist übrigens mein Name. Wir haben es gestern gar nicht mehr geschafft, uns vorzustellen.«
Will schüttelte ihm die Hand. »Will Barton.«
Der Wirt nickte ein paar Mal, als ob der Name ihm etwas sagte. »Ja, war ein guter Abend gestern«, wiederholte er.
Will nahm genüsslich einen Schluck von seinem Kaffee und nickte nur.
Schließlich sprach Gelderris das an, was er auf dem Herzen hatte. »Heute Abend wäre es sogar noch besser. Am Wochenende haben wir immer ein volles Haus. Und es wäre bestimmt noch voller, wenn sich herumspricht, dass ein Musikant im Ort ist.« Er sah Will über seine Kaffeetasse hinweg fragend an. »Ihr habt doch sicher vor, noch eine Nacht zu bleiben, oder?«
Will hatte mit dieser Frage gerechnet. Auch wenn er es kaum erwarten konnte, zur Burg zu kommen, war ihm klar, dass er besser noch einen weiteren Abend bliebe. Der Verdienst war gut, wie er gestern Abend gesehen hatte. Da konnte es verdächtig wirken, wenn er die Gelegenheit, gutes Geld zu verdienen, nicht ergriff.
»Ich habe mich noch nicht richtig entschieden«, sagte er zögernd. »Vielleicht sollte ich besser weiterziehen.«
»Wohin denn?«, fragte Gelderris sofort.
Will zuckte mit den Schultern, als sei das gar nicht so wichtig. »Vielleicht zur Burg Macindaw. Ich habe gehört, Lord Syron hat für Spielleute etwas übrig. Wahrscheinlich gibt es nicht viel Unterhaltung hier, sobald es Winter ist und Schnee fällt«, fügte er hinzu.
Gelderris schüttelte den Kopf. »Syron wird Euch kein freundliches Willkommen bereiten. Er hat schon seit zwei Monaten kein Wort mehr gesprochen.«
Will runzelte die Stirn, als verstünde er nicht ganz. »Was denn? Ist er Mönch geworden, oder was? Hat er ein Schweigegelübde abgelegt?« Er grinste breit,
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