Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
überredet, die Sache mit Melly den Ratsleuten zu erklären und an deren Mitgefühl zu appellieren. Aber beim ersten Blick in diese kalten, ernsten Gesichter hatte ich es mir anders überlegt. Varellian und ihresgleichen ließen sich durch kein Gefühl erweichen, und mein Instinkt warnte mich eindringlich, mein Herz nicht in Feindeshand zu legen. Ich hatte überlegt, dem Rat von Jyllas Diebstahl zu erzählen, um zu erklären, warum ich Brens Auftrag angenommen hatte, aber dann fragten sie gar nicht nach meinen Beweggründen.
Kiran blickte seufzend zu den beiden Magiern. »Du sollst nur wissen, dass ich das verstehe und weiß, was du für mich getan hast. Du hast versucht, mich vor Simon zu retten, und du hast mich vor Ruslan gerettet, zwei Mal. Du hast dein Leben riskiert und wärst beinahe umgekommen. Wenn es morgen zum Schlimmsten kommt, sollst du wissen, dass ich dir unendlich dankbar bin. Und wenn der Rat uns verschont …« Er richtete sich auf. »Ich kann dir das nie vergelten, ich schulde dir so viel, aber solltest du jemals Hilfe brauchen, bekommst du sie.«
Verlegen zuckte ich die Achseln. »Du schuldest mir gar nichts. Ich dachte mir, dass Gerran dich verkaufen will, und hab dich nicht gewarnt. Hätte ich es getan, hätte ich dich auch nicht zu retten brauchen.«
»Du hattest keinen Grund, mein Wohlergehen über deine Loyalität gegenüber Sethan zu stellen. Besonders nachdem ich dich belogen und Freunde von dir umgebracht hatte.« Er senkte den Blick und schlang die Arme um die Knie.
Es war mir verdammt unangenehm, meine feigen Rechtfertigungen jetzt aus seinem Mund zu hören. »Es war nicht richtig, den Mund zu halten, und ich bedaure das.«
Kiran sah mich überrascht an. »Aber wenn du mich gewarnt hättest, was wäre dann aus deiner Verpflichtung gegenüber Sethan geworden?« Dann fügte er flüsternd hinzu: »So kann wenigstens Cara dein Versprechen erfüllen, egal was mit uns passiert.«
Den ganzen Abend über hatte ich mich an die Hoffnung geklammert, dass Cara nach Ninavel gehen und Melly retten würde. Dennoch schämte ich mich dafür, auf welche Weise ich den Zaster verdient hatte.
»Ich hätte einen besseren Weg dafür finden sollen«, erwiderte ich. »Bei dem ich niemanden ins Unglück stürze.«
»Ich wünschte auch, ich hätte einen besseren Weg gefunden, um Ruslan zu entkommen. Einen, der nicht andere Menschen das Leben kostet.« Kiran ließ die Stirn auf die Knie sinken. Seine nächsten Worte kamen gedämpft und heiser. »Ich bereue so vieles. Was tut man, wenn man einen Fehler nicht wiedergutmachen kann?«
Ich starrte ins Feuer und dachte an meine Blödheit, Jylla zu vertrauen, und an den schrecklichen Moment, wo mir klar geworden war, dass Melly dafür bezahlen würde. Schließlich sagte ich niedergeschlagen: »Man macht es gut, wo man kann. Und wenn das nicht geht, nun ja. Man lebt weiter und versucht, denselben Fehler nicht zweimal zu begehen.«
Eine Weile sagte Kiran nichts. »Hört der Schmerz je auf?«
»Erst mal nicht.« Der kleinste Gedanke an Jylla schnitt mir in die Eingeweide. Und trotzdem … mein Blick wanderte zu der schlafenden Cara. Ihre standhafte Hilfsbereitschaft gegen Simon, die gemeinsame Nacht auf den Pelzen, ihre deutliche Sorge um mich, als ich im Krankenbett zu mir gekommen war … Neben diesen leuchtenden Erinnerungen verblasste die bittere, ohnmächtige Wut, die Jyllas Name sonst hervorrief.
»Manche Menschen können den Schmerz lindern«, sagte ich dann. Und betete zu Suliyya, der Rat möge Kiran lang genug am Leben lassen, damit er es selbst erfahren konnte.
Im Morgengrauen kam Martennan zurück. Aufgeregt stand ich auf, als ich im Flur Stimmen hörte und die zwei Bewacher an der Tür Haltung annahmen. Cara kam von der Couch hoch mit halb aufgelöstem Zopf und sorgenvoll angespanntem Gesicht. Kiran fuhr erschrocken aus dem Schlaf im Sessel hoch. Er sah so übernächtigt aus, wie ich mich fühlte, denn ich hatte kein Auge zugetan.
Martennan kam herein, hinter ihm Lena und ein anderer Magier, ein schlaksiger Mann mit tiefen Lachfalten an den Mundwinkeln. Martennan hatte dunkle Ringe unter den Augen, sein Begrüßungslächeln war mehr müde als heiter.
»Der Rat hat das Urteil bekannt gegeben. Alles in allem halte ich das für ein gutes Ergebnis«, verkündete er.
»Du meinst, ich werde nicht an Ruslan ausgeliefert?«, fragte Kiran mit vorsichtiger Hoffnung. Ich verschränkte abwartend die Arme. Martennan mochte sich unter einem guten
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