Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
»Das ist ein übler Bruch. Du musst ihn selbst schienen. Ich hab einen Schmerzstiller dabei, das müsste …«
»Solche Amulette wirken durch die Barriere nicht.« Kiran schaute ins Tal hinunter. »Wenn wir bis zu den Bäumen kommen, könnte ich von denen genügend Ikilhia ziehen, um den Bruch zu heilen.«
»Bis dahin dauert es gute zwei Stunden. Du musst den Arm stilllegen und in einer Schlinge tragen, sonst wirst du unterwegs vor Schmerzen ohnmächtig«, sagte ich. »Und dann wären wir wirklich in den Arsch gekniffen, denn ich könnte dich nicht tragen, ohne dich anzufassen. Außer …« Ich sah ihn prüfend an. »Nach der Lawine warst du bewusstlos, und ich hab dich zum Konvoi getragen, ohne daran zu sterben.«
»Da bin ich zusammengebrochen, weil ich mich beim Zaubern überanstrengt hatte, nicht weil ich verletzt war.« Kiran schaute auf seinen gebrochenen Arm, und der nächste Satz kam mit dünner, hauchiger Stimme. »Ich habe dir doch von dem Ritual erzählt, das Ruslan durchführte, als ich erwachsen geworden war. Es diente nicht nur dazu, mich an ihn zu binden, sondern befähigte meinen Körper zur Selbstheilung. Die läuft so unwillkürlich ab wie das Atmen.«
Ich schluckte schwer. »Du meinst, wenn du darauf verzichtest, Kraft zu ziehen, ist das wie Luft anhalten?«
Er nickte, ohne mich anzusehen.
Jedes Mal, wenn ich glaubte, es könne nicht mehr schlimmer werden, wurde ich eines Besseren belehrt. »Wie lange kannst du …?«
»Bis zu den Bäumen schaffe ich es.«
O ihr Götter. Ich warf Kiran den Wasserschlauch zu und betete, die Zuversicht in seinem Ton möge echt sein. »Spül die Wunde aus, während ich Verbände zurechtmache.«
Es dauerte fast eine Stunde, aber dann hatte er den Arm verbunden. Ich machte ihm eine Armschlinge aus einem kurzen Seil und band seinen Rucksack an meinen. Als ich sie beide aufsetzte, stach meine Zerrung, als hätte ein Bär seine Krallen hineingeschlagen. »Mutter der Jungfrauen, was gäbe ich für ein Maultier«, murmelte ich. Bis zur nächsten Rast würde ich den Schmerzstiller selbst brauchen. Wenn ich bis dahin nicht gestorben war.
Die Sonne sank schon hinter die waldigen Hügel. Vor dem Abend würden wir nicht mehr bis zur Baumgrenze gelangen. Ich seufzte schwer. Noch so ein zermürbender Nachtmarsch, und das bei einer drohenden Gefahr, gegen die ich kein Mittel hatte. Ich hätte nie geglaubt, dass mal der Tag käme, wo ich es herbeisehnte, aus dem Gebirge rauszukommen.
Wenigstens hatten wir das schwierigste Gelände hinter uns. Bald darauf fingen wir an zu laufen. Das Tal wurde breiter, Geröllfelder wechselten sich mit sumpfigen Böden voller alter Schneefelder ab. Unter einem sprudelte ein Bach hervor und floss durch die Felsen oder stürzte weiß schäumend über eine Kante.
Anfangs ging Kiran schweigend vor sich hin, mit verkniffenem Mund und geistesabwesendem Blick. Weil er den Arm in der Schlinge trug, konnte er nicht sehr schnell laufen, aber mit dem doppelten Gepäck und meiner schmerzenden Seite war ich selbst nicht der Schnellste. Wir waren etwa eine Stunde gegangen, als Kiran wieder sprach.
»Meinst du, du könntest ein bisschen reden?«
»Was? Warum?« Mir war wirklich nicht nach Quatschen zumute.
»Es würde mir helfen«, sagte er entschuldigend. Er war blass um den Mund und wollte mir nicht in die Augen sehen.
Ich versuchte, gelassen zu klingen und nicht so, als läuteten bei mir alle Alarmglocken. »Äh, meinetwegen. Worüber denn?«
Er wollte die Achseln zucken, erstarrte aber keuchend. »Ich weiß nicht. Über etwas Interessantes. Wie hast du Klettern gelernt? Wie bist du Vorreiter geworden?«
Ich überlegte, ihm etwas vorzuspinnen, war aber zu müde und nervös, um mir die Mühe zu machen. Vermutlich hatte er die Wahrheit sowieso längst erraten. »Als Kind war ich behaftet und hab als Dieb gearbeitet. Mein Hehler hat uns allen das Klettern beigebracht. Er fand, das nütze unserer Arbeit.«
»Ein behafteter Dieb, wirklich? Darum wurdest du verkauft? Ich habe von solchen Dingen gelesen, aber nur in Kinderbüchern.« Er klang fasziniert. Offenbar war das für ihn eine gute Ablenkung. »Was hast du gestohlen?«
»Schmuck, Geld, Amulette, alles was der Hehler verlangte.« Manchmal auch Ungewöhnlicheres. Der Rote Dal arbeitete zwar viel auf eigene Rechnung, machte aber das meiste Geld mit Auftragsarbeiten. Unter Nobelleuten, Handelshäusern und Bandenchefs hatte er reichlich Kunden, die es nach wertvollen Dingen gelüstete.
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