Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
einmal fragte er sich, wie Angmor hier hindurchfand, denn es gab keinen vorgezeichneten Weg, die Abstände zu den Bäumen waren genau gleich. Man konnte sich nicht am Sonnenstand, an Flechten oder Moosen orientieren, an überhaupt nichts. Jeder Baum sah aus wie der andere, selbst die verschlungenen Äste unterschieden sich kaum. Es war sehr beschaulich, das milde Licht der Rinde wirkte beruhigend. Draußen mochte es vielleicht schon dunkel sein, Rowarn hatte kein Zeitgefühl mehr. Aber er fürchtete sich nicht.
Schließlich veränderte sich die Umgebung etwas. Die Bäume wurden dicker und standen weiter auseinander. Das Dach blieb allerdings weiterhin völlig geschlossen, und die Äste wuchsen in so kurzen Abständen aus dem Stamm, dass es Rowarn unmöglich gewesen wäre, in den Wipfel eines Baums zu klettern.
Rowarn blieb abrupt stehen, als plötzlich eine junge Frau vor ihnen stand. Im Arm trug sie einen Korb mit verschiedenen Blättern und Früchten. Sie war klein, dunkelhaarig und musterte sie misstrauisch aus dunklen Augen. Die üppige Figur wurde von einem offenherzig geschnürten Ledermieder und einem kurzen Rock betont. Ihre Beine waren glatt, gerade und fest, die Füße in den Schnürsandalen zierlich.
Rowarn erkannte erstaunt, dass sie ein Mensch war. Alles hätte er hier erwartet, die erstaunlichsten, vielleicht unvorstellbarsten Wesen – aber Menschen gewiss nicht.
»Was wollt Ihr hier?«, fragte die junge Frau zwar mit misstrauischem Klang in der hellen Stimme, aber trotz der finsteren, kriegerischen Erscheinung des Visionenritters ohne ein Anzeichen von Furcht.
»Ich möchte mit Gríadan sprechen«, antwortete Angmor mit tiefer, ruhiger Stimme.
»Er hat Euch nicht angekündigt.«
»Melde ihm, der Waldlöwe sei gekommen.«
Staunen trat in die Augen der Dunkelhaarigen. »Ihr seid Angmor?«, fragte sie fast ehrfürchtig, dann glitt ein helles Strahlen über ihr glattes braunhäutiges Gesicht. Sie mochte etwa achtzehn Jahre alt sein. »Ich werde Euch gern anmelden, Herr!«
Mit wiegenden Hüften lief sie voraus und rief: »Papa! Papa! Angmor ist gekommen!«
Sie erreichten eine von Laub überdachte Lichtung, auf der ein großes Haus mit Anbau aus zahllosen kleinen Steinen errichtet war. In einem Vorgarten harkte ein Mann gerade ein Beet. Rowarn bestaunte das Haus, denn die Steine waren bunt und exakt bearbeitet worden, zu einem farbenprächtigen Mosaik, das viele Symbole und legendäre Gestalten zeigte. Einhörner, Drachen, Sternenkinder und viele mehr.
Der Mann legte die Harke ab und richtete sich auf. Er war kaum größer als seine Tochter, aber schwer und muskulös, ein Mann in den besten Jahren. Als er Angmor erblickte, trat Staunen auf sein breites Gesicht, dann eilte er dem Visionenritter entgegen. »Was für eine Ehre und Freude, Hoher Herr!«, rief er. »Gríadan wird außer sich vor Erleichterung sein. Er war sehr besorgt um Euch in letzter Zeit, und es schien, als könne er Euch nicht mehr sehen.«
»Weil ich nicht mehr sehen konnte«, sagte Angmor. »Ist es wohl möglich, eure Gastfreundschaft für eine Nacht in Anspruch zu nehmen?«
»Bleibt, solange Ihr wollt«, strahlte der Mann, drehte sich zum Haus und rief: »Tomi? Tomi! Wo steckt der Bengel nur wieder!« Er wandte sich an seine Tochter: »Mimi, geh Tomi suchen, dann bringt ihr die Pferde in den Stall und versorgt sie.«
»Wir haben auch einen Kranken«, warf Angmor ein und deutete nach hinten.
»Ah, der Mann auf der Bahre! Also, Mimi, dann such auch noch Kemi, und ihr bringt den edlen Herrn sofort auf ein Zimmer. Benötigt er eine Heilbehandlung?«
»Nein, er braucht nur Ruhe. Bettet ihn gut, das reicht schon.«
»Alles wird geschehen, Hoher Herr.« Der Mann klatschte in die Hände. »Spute dich, Mimi! Ich führe die Herren zu Gríadan.« Das Mädchen lief zum Haus. Der Mann verbeugte sich vor Angmor, dann vor Rowarn. »Verzeiht, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich bin Remei, der Hüter von Grinvald. Was immer Ihr wünscht, sagt es mir, und ich werde mich bemühen, alles zu erfüllen.«
Aus dem Haus rannten ein etwa zehnjähriger Junge und ein junger Mann in Rowarns Alter herbei, gefolgt von der hübschen Mimi. Sie verbeugten sich artig und baten um die Zügel der Pferde. Rowarn staunte nicht wenig, als Angmor ausgerechnet dem Kleinen Aschteufels Zügel überreichte. Und er war völlig verdattert, als der riesige Schwarzgraue, unter dessen Bauch der Zehnjährige aufrecht hätte hindurchgehen können, Tomi fast
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