Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
Du wirst ein guter König sein. Ich kann nun in Frieden abreisen, und es wird auch Zeit. Selbst für Mächtige kommt der Moment, an dem sie über die Schwelle treten müssen, und ich habe schon sehr lange gewartet.«
»Geh beruhigt«, sagte Rowarn. »Ich danke dir für alles. Ich werde dich nicht enttäuschen.«
Er sah, wie sich das Tor zum Strand mit dem gläsernen Schiff wieder öffnete. Ylwa lächelte ihm ein letztes Mal zu und winkte, dann wandte sie sich um und ging.
Rowarn fuhr hoch und starrte mit aufgerissenen Augen um sich. Sein Herz raste, und seine Hände zitterten, als er sein Gesicht betastete, dann das Bett und die Wand, um ganz sicher zu sein, dass dies die stoffliche Wirklichkeit war.
»Ich bin zurück«, stieß er hervor und merkte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er fühlte sich, als wäre er den ganzen Tag gerannt und ohne Pause auf einen Berg hinauf- und wieder hinuntergeklettert, und hielte nun das erste Mal an. Sein Atem ging stoßweise, und er brauchte eine lange Zeit, bis er wieder zur Ruhe kam. Dann war er so erschöpft, dass er sich am liebsten wieder hingelegt und geschlafen hätte. Doch draußen kroch bereits der erste fahle Schein der Dämmerung herauf, und er wusste, er würde keinen Schlaf mehr finden.
Aufgewühlt stand Rowarn auf. Immerhin schüttelte es ihn nicht so durch, dass er sich übergeben musste, doch weit entfernt davon war er nicht. Er zog einen Überwurf über und lief barfuß aus dem Haus. Der erwartete Kälteschock, von dem er sich Belebung erhofft hatte, setzte jedoch nicht ein, denn der beginnende Morgen war verhältnismäßig mild. Nebel dampfte von den Kaskadenfällen herüber, und der See schien in Watte eingepackt zu sein. Es war völlig windstill, und Rowarn beobachtete, wie seine Atemwölkchen langsam von seinem Mund schwebten und sich sacht verflüchtigten. Er trabte zum See hinunter, zog sich am sandigen Ufer aus und tauchte unter den Nebel ins warme Wasser.
Warum habe ich das nicht schon längst getan , dachte Rowarn und zog das Wasser tief durch seine Kiemen. Er entspannte sich sofort, sein Geist befreite sich von aller Düsternis, und er dachte nur noch an die beglückenden Momente der Begegnung mit seiner Mutter.
Das Wasser war warm und nicht tief, durchsetzt von glitzernden Teilchen und Myriaden winziger dahintreibender Tierchen, gläsern, milchig und pulsierend, mit hauchfeinen Wimperbeinchen und Zangenärmchen. Schlanke, silberne Fische jagten mit weit geöffnetem Maul zwischen ihnen hindurch, verfolgt von Regenbogenwelsen. Sie alle fürchteten sich nicht vor Rowarn, als er zwischen ihnen hindurchtauchte, wichen ihm nur träge aus und beachteten ihn nicht weiter. Der Boden war sandig, und vielfarbige Hummer staksten darüber, eifrig mit langen Tastscheren nach Nahrung wühlend.
Rowarn ließ sich dicht über dem Grund dahintreiben; das war besser als die Tiefe Ruhe, denn er zog durch eine Welt, die weitab der gewohnten lag, fern aller Sorgen von dort. Er konnte sich geborgen fühlen, ohne sich Gedanken um andere machen zu müssen. Die Verlockung war groß, nun einfach hierzubleiben und allem weiteren Schmerz auszuweichen. Er hatte schon viel erreicht; er hatte seine Eltern gefunden, was ihm am meisten am Herzen gelegen hatte. Mochten sich andere um alles Weitere kümmern. Bisher waren sie auch ohne ihn ausgekommen, also warum sollte auf einmal alles von ihm abhängen?
Etwas streifte Rowarns Bein, und er sah sich um. Ein mannslanger Glattschlängler hatte sich ihm angeschlossen und erwiderte Rowarns Blick aus starren, runden gelb umrandeten Augen. Sein langes, spitzes Maul war mit Zähnen gespickt. Die Fische und Krebse in der Nähe ergriffen mit blinkenden Schuppen die Flucht, und für einen Augenblick geriet das Wasser in Unruhe. Rowarn blinzelte, als mattes Streulicht sich durch den Nebel über der Oberfläche tastete und ins Wasser stach; die Sonne war aufgegangen. Draußen begann ein neuer Tag.
Ich muss zurück , dachte er. Ich darf hier nicht ewig verweilen, in diesem Zwischenreich des Zwielichts. Ich muss beenden, was ich begonnen habe, so verlockend es auch wäre, sich davonzuschleichen. Meine Mutter hat nicht an den Gestaden auf mich gewartet, damit ich mich jetzt davonmache. Jeder hat seine Aufgabe zu erfüllen, und das Tabernakel ist die meine. Ich habe sie mir nicht ausgesucht, sondern sie mich – aber das ändert nichts. Ich würde überallhin die Schuld mit mir nehmen, meine Freunde und alle, die ihr Vertrauen in mich gesetzt
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