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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Scotty.«
    Ihre Stimme hatte einen kleinen Aussetzer. Fast ein Schluckauf.
    »Okay, Janice. Alles Gute auch für Whit.«
    »Ruf an, wenn du eine Stelle hast.«
    »Mach ich.«
    »Kait muss weiter von dir hören, egal wie sie darüber denkt. In solchen Zeiten, du weißt schon, die Welt ist, wie sie ist…«
    »Ich verstehe.«
    »Und sei vorsichtig auf dem Weg zum Flughafen. Die Straßen sind noch glatt vom letzten Schnee.«
     
    In der Flughafenhalle von Baltimore hielt ich nach einem Fahrer Ausschau, der ein Pappschild hielt, auf dem mein Name stand, doch es war Sulamith Chopra höchstpersönlich, die mich abholte.
    Es gab keinen Zweifel, auch nach all den Jahren nicht. Sie überragte alle. Selbst ihr Kopf war länglich, eine rundliche braune Erdnuss mit schwarzen Fransen obendrauf. Sie trug ballonförmige Khakihosen und eine Bluse, die vielleicht früher einmal weiß gewesen und dann ein paarmal mit nicht farbechten Sachen in die Waschmaschine gewandert war. Sie sah derart nach einem Heilsarmeeladen aus, dass ich mich fragte, ob sie wirklich in der Position war, irgendjemand einen Job anzubieten, aber dann dachte ich, Welt der Akademiker und Wissenschaft.
    Sie grinste. Ich grinste, nicht ganz so energisch.
    Ich streckte die Hand aus, doch Sue wollte nichts davon wissen; sie schnappte mich, umarmte mich ungestüm und gab mich eine Zehntelsekunde, bevor es wehtun konnte, wieder frei. »Der alte Scotty«, sagte sie.
    »Die alte Sue«, brachte ich heraus.
    »Ich bin mit dem Wagen hier. Hast du schon zu Mittag gegessen?«
    »Nicht mal gefrühstückt.«
    »Dann bist du eingeladen.«
     
    Vor zwei Wochen hatte mich ihr Anruf aus einem traumlosen Nachmittagsschlaf geweckt. Ihre ersten Worte waren: »Hallo, Scotty. Ich höre, du hast deinen Job verloren?«
    Wohlgemerkt, eine Frau, mit der ich nicht mehr gesprochen hatte seit unserer zufälligen Begegnung in Minneapolis. Eine Frau, die seither keinen meiner Anrufe erwidert hatte. Ich brauchte ein paar schlaftrunkene Sekunden, nur um die Stimme unterzubringen.
    »Tut mir Leid, dass ich erst jetzt auf dich zurückkomme«, fuhr sie fort. »Es gab Gründe. Aber ich habe dich nicht aus den Augen verloren.«
    »Mich nicht aus den Augen verloren?«
    »Das ist eine lange Geschichte.« Ich wartete. Statt sie zu erzählen, erging sie sich in Erinnerungen an Cornell und erhellte schlaglichtartig ihre Karriere seit damals – ihre wissenschaftliche Beschäftigung mit den Chronolithen, was mich ungemein interessierte. Und zerstreute mich nicht von ungefähr, wie ich mir sicher bin.
    Sie ging derart ins Detail, das ich nicht mehr folgen konnte: »Calabi-Yau-Räume«; etwas wie »Tau-Turbulenz«. [xiv]
    Bis ich sie schließlich fragte: »Gut, ich hab also meinen Job verloren – wie hast du das erfahren?«
    »Na ja, das hat damit zu tun, dass ich anrufe. Ich fühle mich gewissermaßen mitverantwortlich.«
    Mir fiel ein, was Arnie Kunderson über »Feinde im Management« gesagt hatte. Und über »Leute in Zivil«. Ich sagte: »Egal, was du mir erzählen musst, leg los.«
    »Okay, aber du musst Geduld haben. Ich gehe davon aus, dass du nirgends hin musst. Nicht noch aufs Klo?«
    »Ich halte dich auf dem Laufenden.«
    »Okay. Tja. Wo soll ich anfangen? Hast du noch nie bemerkt, wie schwer es ist, Ursache und Wirkung auseinander zu halten? Alles wird immer verwickelter.«
    Als der Chumphon-Chronolith auftauchte, hatte Sue bereits eine beträchtliche Anzahl von Aufsätzen über bestimmte Formen exotischer Materie und C-Y-Transformationen veröffentlicht (»Non-Baryonic Matter and How to Untie Knots in String«). [xv] Viele befassten sich mit Problemen der zeitlichen Symmetrie – ein Konzept, das sie mir, wie es schien, unbedingt erklären wollte, bis ich sie stoppte. Nach dem Chumphon-Monument, als der Kongress die potenzielle Bedrohung durch die Chronolithen ernstzunehmen begann, da hatte man sie eingeladen, sich an einem Forschungsprojekt zu beteiligen, das von einer Hand voll Sicherheitsdiensten gesponsert und aus einem Topf bereits bewilligter Bundesmittel finanziert wurde. Man erklärte ihr, es handle sich um Grundlagenforschung, an der auch die Cornell-Fakultät und etliche ältere Kollegen beteiligt seien, ein Halbtagsjob, etwas, das ihrer Karriere nur förderlich sei. »Das war wie Los Alamos, verstehst du, nur ein bisschen entspannter.«
    »Entspannter?«
    »Anfangs wenigstens. Also hab ich zugesagt. Es war in diesen ersten paar Monaten, als ich auf deinen Namen stieß. Damals ging es

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